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Eintrag vom 22.03.2025 EHRUNG FÜR HEINZ UNGER
Feierliche Anbringung der 11. Erinnerungstafel "Letzte Adresse" am 21. März 2025 in Jüterbog.
Ein Bericht von Stefan Krikowski
Bei strahlendem Sonnenschein und frühlingshaften Temperaturen wurde am 21. März 2025 in Jüterbog die Erinnerungstafel "Letzte Adresse" für den Zahntechnikerlehrling Heinz Unger an dessen letzter Wohnanschrift Am Dammtor 16 angebracht. Initiiert und organisiert wurde die feierliche Anbringung der Tafel vom Team MEMORIAL Deutschland um Anke Giesen und Mario Bandi in Zusammenarbeit mit der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in Brandenburg, Maria Nooke. Etwa 20 Personen waren aus Berlin zur Gedenkfeier angereist.
Heinz Unger wurde am 14. Juni 1932 in Werder/Havel geboren. Schon als Schüler zeigte er seinen Unmut über die heraufziehende kommunistische Diktatur, indem er im Herbst 1948 die Namenstafel seiner Oberschule "Carl von Ossietzky" in Werder abriss und zertrümmerte. Daraufhin musste er die Schule verlassen. Im Frühjahr 1951 verteilte er zusammen mit seiner Freundin Ingeborg Wolff im Raum Babelsberg und Werder Flugblätter der KgU. Die Aktion flog am 21. Juni 1951 auf und beide wurden verhaftet und ins MGB-Gefängnis Lindenstraße in Potsdam überstellt.
Zusammen mit Ingeborg Wolff wurde er durch das SMT Nr. 48240 am 11. Januar 1952 wegen Spionage und antisowjetischer Propaganda zum Tod durch Erschießen verurteilt. Ingeborg Wolff und Heinz Unger wurden am 2. April 1952 im Moskauer Butyrka-Gefängnis hingerichtet.
Selbst wenn die Vorwürfe der Spionage und antisowjetischen Propaganda (Verteilen von Flugblättern…) zutreffen sollten: Rechtfertigt das, einen 19-Jährigen zum Tode zu verurteilen und ihn anschließend in Moskau hinzurichten? Nein! Der Prozess vor einem sowjetischen Militärgericht, mit unter Folter erzwungenen Geständnissen, ohne anwaltlichen Beistand, das Urteil und seine Vollstreckung zeigen das Ausmaß des kommunistischen Terror-Regimes.
Die Protestform, gegen staatliches Unrecht mit Flugblättern aufzubegehren, erinnert an Hans und Sophie Scholl, die 1943 auch mit Flugblättern gegen das nationalsozialistische Unrechtsregime protestierten. Auch sie wurden hingerichtet. Heute werden sie zu Recht als Helden und Widerstandskämpfer geehrt.
Auch Heinz Unger und Ingeborg Wolff waren Widerstandskämpfer, wie so viele andere in der SBZ/DDR — ich möchte an dieser Stelle an Arno Esch und Herbert Belter erinnern. Mit der Einweihung dieser Erinnerungstafel gedenken und ehren wir Heinz Unger.
Marie Nooke und Stefan Krikowski hielten Gedenkansprachen, indem sie über die frühe DDR-Zeit, die SMT-Urteile und über den Werderaner Jugendwiderstand berichteten.
Der Zeitzeuge Dr. Sigurd Blümcke gab zahlreiche Einblicke in den Werderaner Jugendwiderstand. Erwähnt sei an dieser Stelle sein umfangreiches Buch "Wir liebten nur einen Sommer. Jugend, Widerstand und Haftzeit, 1942 –1952" (709 Seiten).
Vom Verein ehemaliges KGB-Gefängnis Leistikowstraße kam Dr. Richard Buchner nach Jüterbog. Unter den Anwesenden war auch Dr. Helmut Sonnenschein, für dessen Vater Helmut Sonnenschein im Juli 2020 eine Gedenktafel an dessen Wohnhaus in Naumburg angebracht wurde.
Die letzte Wohnanschrift von Heinz Unger war Am Dammtor 16 in Jüterbog. Heute befindet sich in diesem Haus die Evangelische Grundschule Jüterbog. Es ist enttäuschend, dass kein einziger Jüterboger Einwohner anwesend war. Kein Bürgermeister, kein Lokalpolitiker. Obwohl Anke Giesen bei der Direktorin der Grundschule angefragt hatte, ob vielleicht eine Schulklasse, Schüler oder Lehrkräfte oder wenigstens die Schuldirektorin selbst an dieser Gedenkfeier teilnehmen möchten, kam niemand. Die Eltern, die an diesem Freitag gegen 14 Uhr ihre Kinder aus der Schule abholten, gingen grußlos an der kleinen Gruppe vorbei. Werden sie die Gedenktafel "Letzte Adresse" für Heinz Unger, die links neben der Schuleingangstür angebracht wurde, sehen und wahrnehmen? Werden sie sich fragen, was es mit dieser Gedenktafel auf sich hat?
Nähere Informationen zu Heinz Unger finden Sie hier: https://donskoje1950-1953.de/?p_id=394
- Gedenktafel "Letzte Adresse" für Heinz Unger
- Gedenkfeier unter Leitung von Anke Giesen (rechts) (MEMORIAL)
- Gedenkansprache von Maria Nooke, Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in Brandenburg
- Der Zeitzeuge Dr. Sigurd Blümcke
- Die Evangelische Grundschule Jüterbog
Eintrag vom 17.03.2025 GÜNTHER REHBEIN IST TOT
Am 4. März 2025 verstarb Günther Rehbein im Alter von 91 Jahren in Gera.
Ein Nachruf von Stefan Krikowski
Nachruf auf Günther Rehbein
Günther Rehbein war ein rastloser Zeitzeuge, der jedes Jahr mehrere tausend Kilometer durch Deutschland fuhr, um zumeist Schülergruppen von seinem Schicksal als Opfer des DDR-Unrechts zu erzählen. Bis zuletzt setzte Günther Rehbein sich für die Aufarbeitung der kommunistischen Verbrechen ein und kämpfte für einen ehrlichen Umgang mit dieser Vergangenheit: "Die jungen Menschen müssen die Wahrheit erfahren, sie gestalten unsere Zukunft. Sie müssen wissen, was passiert ist. Es darf nichts ausgeklammert werden."
Mit gerade einmal 19 Jahren wurde Günther Rehbein im August 1952 in der DDR von Mitarbeitern der Staatssicherheit verhaftet. Eigentlich war er kein politischer Mensch. Er arbeitete als Maler, hatte einen klaren Blick und nahm kein Blatt vor den Mund. Nach einem Besuch in West-Berlin, der ihm die deutlich bessere Versorgungslage dort zeigte, äußerte er gegenüber seinen Arbeitskollegen in Gera seinen Unmut über die schlechte Versorgungslage in der DDR. Konnte das der Grund sein, warum ein Sowjetisches Militärtribunal ihn in Chemnitz am 13. November 1952 wegen Spionage, antisowjetischer Hetze und Diversion zu 25 Jahren Arbeits- und Besserungslager verurteilte? Nach dem Urteil brach Günther Rehbein in der Zelle zusammen.
- Günther Rehbein, 2010
Drei Jahre verbrachte Günther Rehbein im Lager Nr. 10 in Workuta. Jeden Morgen legte er den fast 2 Kilometer langen Weg zum 29. Schacht zurück. Auf dem Rückweg zum Lager fror seine durchnässte Kleidung sofort zu Eis, da die Außentemperaturen in den Wintermonaten bis zu -40 Grad Celsius erreichten. Der Winter dauerte von September bis Juni, der Sommer beschränkte sich auf Juli und August. Frühling und Herbst gibt es dort hinter dem nördlichen Polarkreis nicht.
Ein wesentlich älterer deutscher Mithäftling, Sigurd Binski, gab ihm wichtige Tipps zum Überleben im Lager, zum Beispiel: "Junge, lerne Russisch, sonst bist du hier verloren!" Diesem Rat folgte er und die russische Sprache blieb ihm bis zuletzt vertraut.
Am 1. August 1953 erlebte er die blutige Niederschlagung des Aufstandes im Lager Nr. 10. Josef Stalin war am 5. März gestorben und unter den Häftlingen herrschte große Aufregung. Sie hofften, dass alle Urteile über ausländische Gefangene überprüft und sie freigelassen würden. Doch der Aufstand wurde brutal niedergeschlagen. Sowjetische Soldaten eröffneten das Feuer auf das Lager und richteten ein Blutbad an. Der Berliner Wolfgang Jeschke wurde von einer Kugel getroffen und fiel neben Günther Rehbein zu Boden. Insgesamt erschossen die sowjetischen Soldaten 64 Häftlinge, darunter viele Ukrainer. Günther Rehbein sah auch, das Heini Fritsche mit einem Hals- und Armdurchschuss aus dem Lager getragen wurde.
Im Oktober 1955 wurde Günther Rehbein über Frankfurt (Oder) entlassen. Er kehrte nach Gera zurück und freute sich auf seine Frau und die beiden Kinder. Doch schon am Bahnhof teilte ihm sein Großvater mit, dass seine Frau mittlerweile mit einem anderen Mann zusammenlebte.
Auch beruflich gestaltete sich seine Rückkehr äußerst schwierig, denn die SED legte ihm zahlreiche Steine in den Weg. So durfte er keine Weiterbildung zum Malermeister absolvieren und die Staatssicherheit beobachtete ihn ausnahmslos.
Dann, im Jahr 1968, schlug der Arbeiter- und Bauern-Staat erneut zu. Günther Rehbein traf zufällig jenen Stasi-Spitzel wieder, der ihn 1952 verraten hatte. In einer Kneipe erkannte er diesen und stellte ihn zur Rede. Doch der antwortete lapidar: "Was, du lebst noch? Ich dachte, die hätten dich erschossen". Als sie sich auf der Straße erneut begegneten, verlor Günther Rehbein die Beherrschung und schlug den Mann zusammen. Daraufhin verurteilte ihn ein Gericht zu vier Jahren Haft, die er im „Gelben Elend“ in Bautzen und im Braunkohle-Tagebau "Schwarze Pumpe" absitzen musste. Am 7. November 1971 wurde er entlassen und stellte mehrere Ausreiseanträge, die jedoch alle abgelehnt wurden.
Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus bedeutete seine Rehabilitierung durch die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation im Juni 1995 für ihn eine große Genugtuung, denn das Dokument bewies, dass er zu Unrecht verurteilt worden war.
Im Jahr 2006 erschein Günther Rehbeins Buch "Gulag und Genossen", mittlerweile in vierter Auflage. Seit den 1990er Jahren berichtete Günther Rehbein über die Verbrechen des Kommunismus und schöpfte daraus Kraft, Mut und neue Zuversicht.
Bis zuletzt trieb ihn die Frage um, wie gnadenlos und willkürlich im Namen einer angeblich humanen Ideologie Menschenleben zerstört wurden. Die hässliche Fratze des Kommunismus und seiner Vollstrecker hatten Körper und Seele von Günther Rehbein ruiniert. LINKE-Politiker, die bis in höchste Ämter der thüringischen Politik aufstiegen, ließen ihn bis zuletzt nicht zur Ruhe kommen.
Unzählige Zeitungsartikel berichteten von seiner regen Vortragstätigkeit und verstärkten so Günther Rehbeins Stimme weit über Thüringen hinaus. Nun ist sie verstummt.
Günther Rehbein verstarb am 4. März 2025 unmittelbar vor seinem 92. Geburtstag in Gera, wo er zeit seines Lebens lebte — unterbrochen von drei Jahren Haft in einem sowjetischen Gulag und vier Jahren Haft in einem der berüchtigtsten DDR-Gefängnisse.
Hoffen wir, dass seine Seele nun endlich zur Ruhe kommt und erlöst wird.
Stefan Krikowski
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Eintrag vom 1.2.2025 NEUE BIOGRAFIE
Die Biografie von Günter Herzog wurde am 1. Februar 2025 auf www.workuta.de veröffentlicht.