Aktuelles
Eintrag vom 28.12.2014 GÜNTHER KOWALCZYK IST TOT
Er war von Haft und Lager schwer gezeichnet. Seine Erfahrungen damit hat er einmal selbst prägnant zusammengefasst:
„Meine Erfahrungen dürfen nie mehr von jemandem nach mir neu durchlebt werden. Es muss reichen, dass ich mit meinen Kameraden, meinen Weggefährten, meinen Leidensgenossen derart durch die Niederungen des Seins geschleift wurde, unsere Leiber und Seelen bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt wurden.“
Er, der am 24. Februar 1922 in Großgraben/Schlesien geboren, 1940 Soldat geworden und im August 1946 aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft entlassen worden war, wurde 1950 in Berlin wegen Besitzes einer Westberliner Zeitung verhaftet. Zuvor hatte er Kontakt zum RIAS und zur KGU aufgenommen. Ein sowjetisches Militärtribunal verurteilte ihn daraufhin am 8. Mai 1950 zunächst zum Tode. Später wurde dieses Urteil in 25 Jahre Zwangsarbeit umgewandelt. Vom August 1950 bis September 1955 war Günther Kowalczyk Häftling in Workuta (Schacht 29, Lager 10).
Ende 1955 wurden annähernd 10.000 deutsche Kriegsgefangene und Zivilinternierte aufgrund der Verhandlungen Konrad Adenauers mit den sowjetischen Machthabern freigelassen. Günther Kowalczyk gehörte jedoch nicht dazu. Die Sowjets zählten ihn zu einer Gruppe von 749 „Schwerst-Kriegsverbrechern“, die von der Amnestie ausgenommen wurden. Bei seiner Rückkehr in die Heimat erhielt er deshalb einen „Nachschlag“ und wurde von Dezember 1955 bis April 1956 als „Schwerst-Kriegsverbrecher“ im Gefängnis Bautzen II inhaftiert. Dass er nicht zu den Entlassenen gehörte und zudem noch als „Schwerst-Kriegsverbrecher“ bezeichnet wurde, den es erneut zu inhaftieren galt, stellte für ihn zeitlebens eine große Erniedrigung und Kränkung dar.
Nach der Entlassung siedelte Günther Kowalczyk nach Siegburg um und widmete sich von hier aus dem Kampf gegen das Vergessen. Er war nicht nur der langjährige Schatzmeister der Lagergemeinschaft ehemaliger Workutaner. Zu seinem Verdienst zählt außerdem, dass er akribisch eine Liste weiterführte, die nahezu vollständig die Namen und Daten aller deutschen Kriegsgefangenen und politischen Gulag-Häftlinge enthält, die von 1945 bis 1956 im Straflagerkomplex Workuta inhaftiert waren. Insgesamt 9.626 Namen sind hierin verzeichnet (Stand: 2008).
Eine späte Genugtuung widerfuhr Günther Kowalczyk, als er 1994 von der Militärstaatsanwaltschaft in Moskau rehabilitiert wurde. Nun ist er am 1. Dezember 2014 im Alter von 92 Jahren in Siegburg gestorben.
Stefan Krikowski
...schließenEintrag vom 24.10.2014 PRESSEMITTEILUNG
Bilanz zum letzten Tag der Gulag-Ausstellung im Schweriner Marstall
Etwa 5.000 Besucher der Ausstellung "Gulag. Spuren und Zeugnisse. 1929 – 1956" und des Begleitprogramms informierten sich über das System der Zwangsarbeits- und Straflager in der Sowjetunion. Im Gulag waren auch Tausende Deutsche inhaftiert, von denen viele die schweren, oftmals unmenschlichen Zustände in den Lagern nicht überlebten. Die von der Landesbeauftragten für MV für die Stasi-Unterlagen seit Mitte Juli 2014 im Schweriner Marstall präsentierte Ausstellung war bis zum 24. Oktober 2014 geöffnet.
Etwa 1.000 Besucher erlebten die vielfältigen Formate des Begleitprogramms der Ausstellung mit Vorträgen, Lesungen, Diskussionen, Filmaufführungen und Konzerten. Dabei ging es um die allgemeine historische Einordnung des Gulag und verschiedener Lagersysteme sowie spezifische Aspekte wie Kinder im Gulag, im Gulag komponierte Musik, die literarische Reflexion des Gulag oder die sowjetischen Lager auf deutschem Boden, beispielsweise das Speziallager in Neubrandenburg-Fünfeichen.
Bewegt zeigten sich viele Gäste von der Darstellung exemplarischer Schicksale von Menschen, die in den Lagern Unfassbares erlitten haben. Zeitzeugen berichteten aus ihren Lebensgeschichten. Betroffene Familien meldeten sich während ihres Ausstellungsbesuchs, erzählten über Angehörige, die im Gulag inhaftiert waren oder andere Formen der Verfolgung erleiden mussten und äußerten sich anerkennend über die Würdigung der Opfer in der Exposition.
Zwei auch überregional beachtete Fachtagungen zu Beginn und zum Ende der Ausstellung befassten sich mit dem Gulag und dem "Jahrhundert der Lager" sowie der Traumaweitergabe über Generationen. Insbesondere Lehrer nutzten eine Weiterbildung zur didaktischen und pädagogischen Aufbereitung des Themas für die Bereicherung ihres Geschichtsunterrichts.
Etwa 600 Interessierte, Schülergruppen und Lehrer, Multiplikatoren der politischen Bildung, aber auch Mitglieder und Mitarbeiter von Landtagsfraktionen sowie Mitarbeiter der Ministerien wurden in den täglich angebotenen und in zusätzlichen Führungen durch die Gulag-Ausstellung über Repressionsmechanismen in der Diktatur, die Folgen und heutige Bezüge zu diesem dunklen Kapitel der Vergangenheit informiert.
Neben Schwerinern, Besuchern aus MV und anderen Bundesländern fanden auch Gäste aus Skandinavien, den USA, der Ukraine, aus Australien, Malaysia, Singapur, China, Polen, Großbritannien, Estland, Dänemark, den Niederlanden und Kolumbien den Weg in die Ausstellung.
"Die Ausstellung hat das große Interesse der Menschen im Land für die Aufarbeitung der Geschichte der Zwangsarbeits- und Straflager gezeigt", sagte die Landesbeauftragte Anne Drescher. "In vielen Familien ist das Thema Gulag aufgrund biografischer Bezüge immer noch sehr präsent."
Zitate aus dem Gästebuch:
"Welche Worte für dieses Leid, welche Gefäße für diese Tränen."
"Haben eine sehr beeindruckende Ausstellung mit Führung erlebt. Viele Fragen konnten wir nicht stellen, denn wir waren zu aufgewühlt."
"Schwer zu ertragende, aber extrem notwendige Auseinandersetzung."
Die Landesbeauftragte für Mecklenburg-Vorpommern für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR
...schließenEintrag vom 18.10.2014 PRESSECLIP
BEI MINUS 60 GRAD IN DER HÖLLE
Deutsche in Stalins Gulag - Häftlinge sind im sowjetischen Straflager Workuta am Polarkreis "elendig verreckt"
Workuta - Fast jeder kennt die Namen Auschwitz oder Dachau, die mit den KZ der Nazis verbunden sind. Aber kaum einer kennt den Namen auch nur eines einzigen sowjetischen Straflagers, die den deutschen durchaus "ebenbürtig" waren: Kolyma, Inta, Taischet, Potma oder als Inbegriff des Schreckens, Workuta. Rund 35000 Deutsche wurden von 1945 bis 1955 durch sowjetische Militärtribunale (SMT) verurteilt. Vermutlich einige tausend Deutsche waren in Workuta inhaftiert. Nur wenige kamen zurück - einer davon ist der heute 90-jährige Horst Schüler, der in Hamburg lebt, verheiratet, zwei Kinder. Als Journalist war er 25 Jahre Redakteur beim Hamburger Abendblatt und erhielt Auszeichnungen wie den Theodor-Wolff-Preis, das Bundesverdienstkreuz am Bande oder das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Der Ehrenvorsitzende der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG) und Sprecher der "Lagergemeinschaft Workuta/Gulag Sowjetunion" sprach mit Andreas von Delhaes-Guenther über die Zeit in Workuta. Dieser Bericht beruht auf seinen Worten.
Horst Schüler ist der Sohn einer Arbeiterfamilie. Der Vater Fritz war Sozialdemokrat und wurde von den Nazis 1933 sowie 1941 verhaftet und 1942 im KZ Sachsenhausen ermordet. 1945 wird der Sohn als 20-jähriger Soldat verwundet, kommt in sowjetische Kriegsgefangenschaft und wird 1946 entlassen. Er arbeitet als Journalist bei einer Potsdamer Zeitung. Wegen des Schicksals seiner Eltern ist er als Opfer des Faschismus anerkannt. "In der Redaktion merkte ich bald, dass wir in der sowjetischen Besatzungszone in eine neue Diktatur geraten waren", berichtet Schüler. Die Probleme der Bevölkerung fanden in der Zeitung keinen Niederschlag, nur Beschlüsse der SED, propagandistische Selbstverpflichtungen, Normerhöhungen und ähnliches. Der Journalist wird zu einem sowjetischen Presseoffizier befohlen, ein Geheimdienstmann. Dieser forderte Schüler auf, seine Kollegen zu bespitzeln. "Ich lehnte das ab und entschloss mich zum Widerstand gegen das herrschende System", so der gebürtige Babelsberger. Er nahm Kontakt auf zu Widerstandsgruppen in Westberlin und schrieb Berichte in Westberliner Zeitungen über die wahren Verhältnisse in der DDR. 1951 wurde sein Kontaktmann in die DDR entführt. Wenige Tage darauf, am 3. November 1951, wurde Schüler verhaftet und kam in das Gefängnis des sowjetischen Geheimdienstes KGB in Potsdam.
Der Leidensweg des Horst Schüler begann. Fünf Monate Untersuchungshaft, in der er allen nur denkbaren psychischen und physischen Foltern und Demütigungen ausgesetzt war. Eine Niere wurde ihm zerschlagen. "Die Verhöre erfolgten in der Regel nachts. Man musste Protokolle unterschreiben, die man nicht lesen konnte. Vom Tag der Verhaftung an hatte man keinen Kontakt mehr zu seinen Angehörigen, die über Jahre nicht wussten, ob man noch lebte", erzählt der ehemalige Gulag-Häftling. Er wurde von einem SMT zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Dass diese Strafe dem in über 1000 Fällen verhängten Todesurteil fast gleich kam, wusste er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Schüler wurde der Paragraph 58-6 des sowjetischen Strafgesetzbuches zur Last gelegt: Spionage. Der KGB und die Militärtribunale waren in der DDR bis 1953, offiziell sogar bis 1955 tätig. Nach dem Urteil wurde er nach Moskau in das Butyrka-Gefängnis gebracht, wo Todesurteile vollstreckt und Transporte in die Strafregionen zusammengestellt wurden.
Tod im Eis: Eines der Lager von Workutlag mit Schacht Nr. 1, Kapitalnaja, im Hintergrund. Die Aufnahme wurde 1956 heimlich vom Haldengipfel des Schachts 9-10 aufgenommen.
Schüler kam nach Workuta, eine Region nördlich des Polarkreises, bis in die 1930er Jahre nur von Rentierzüchtern, den Komis, bewohnt. Im Norden wird das Land vom Eismeer begrenzt. "Die klimatischen Verhältnisse waren schrecklich, acht Monate Winter, Temperaturen bis an die Minus-60-Grad-Grenze, zumeist minus 30 bis 50 Grad. Schneestürme von hier unbekannter Gewalt rollten über die baumlose Tundra", erzählt der Lagerhäftling. Die Russen sprachen über Workuta von der "Heimat des Teufels". In den neunzehndreißiger Jahren beschloss der sowjetische Diktator Stalin, die reichen Steinkohle-Vorkommen in der Region auszubeuten. Die ersten Sträflinge kamen. Sie hausten anfangs in Löchern, die sie mühsam in die ewig gefrorene Erde schlugen. Sie bauten Bergwerke und Unterkünfte für das Wachpersonal. In kurzer Zeit entstand die Stadt Workuta, die heute 70000 Einwohner hat. Gebaut wurde auch eine Bahnlinie, die von den Workutanern - den Häftlingen - ihr "erster Friedhof" genannt wird, "weil unter den Bahnschwellen elendig verreckte Sträflinge liegen", so Schüler.
Als er nach Workuta kam, gab es dort mehr als dreißig Lager, jeweils mit 2000 bis 6000 Häftlingen. Zu jedem Lager gehörte ein Schacht, also ein Bergwerk. Die Häftlinge wurden bei ihrer Ankunft von Ärzten auf ihre Arbeitsfähigkeit mit einem "Kniff in den Hintern" getestet. Je nachdem, wie viel Fleisch der Arzt dabei ergriff, teilte er eine von fünf Arbeitskategorien zu. Eins und Zwei bedeuteten Arbeit unter Tage, Drei hieß Arbeit über Tage im Schacht, Vier Arbeit im Lager und Fünf galt als nicht mehr arbeitsfähig. "Ich arbeitete stets unter Tage. Hunger, Angst und absolute Hoffnungslosigkeit waren die Begleiter unseres 'Lebens'. Wir arbeiteten in drei Schichten in Brigaden, waren dort als Deutsche meist allein unter den sowjetischen Völkern, meist Ukrainer, Russen, Kaukasier", berichtet Schüler. Oft gab es Prügel und die Arbeit war "knochenhart, in den oft niedrigen Stollen nur kniend möglich". Hygiene war ein Fremdwort. "Keine Seife, keine Zahnbürste, kein Papier für die Notdurft. Die Aborte dreckige Löcher, von Ratten wimmelnd", beschreibt der Insasse seine persönliche Hölle. "Jedes Lager war umzäunt von Todesstreifen, Wachtürmen. Der Marsch zum Schacht: in Reihen untergehakt, umringt von Soldaten mit Hunden, ständiges Kommando: Kein Schritt nach links, kein Schritt nach rechts, es wird sofort geschossen." Die Verpflegung war ein Kanten Brot, zwei Mal Wassersuppe mit etwas Kohl, eine Schüssel Kascha (Mais-, Hirse-, Gerstebrei) und alle zehn Tage ein paar Stück Zucker. "Verzweiflung bestimmte unsere Tage", sagt Schüler. Es gab auch zwei Frauenlager in Workuta. Die Frauen arbeiteten in einer Ziegelei und beim Straßenbau. "Welchen anderen Torturen diese armen Menschen ausgesetzt waren, das ist ein besonders grausames Thema", meint der 90-Jährige in Bezug auf zahllose sexuelle Übergriffe der Wachen.
Am 5. März 1953 starb der brutale Massenmörder Stalin. Jubel in den Lagern. Hoffnung auf Verbesserungen, doch sie erfüllten sich nicht. Im Juli begann ein Streik in den Lagern Workutas, der schnell die Züge eines Aufstandes annahm. "Ich war im Lager 10, der zum 29. Schacht gehörte. Am 1. August wurde in unserem Lager der Aufstand blutig niedergeschlagen. Soldaten feuerten in die Masse der Häftlinge, es gab 64 Tote, darunter zwei Deutsche, und weit über 150 Verwundete", so der Schreckensbericht. Nun brach der Aufstand auch in den anderen Lagern zusammen. Doch danach verbesserte sich tatsächlich die Lage der Häftlinge. Die Gitter an den Fenstern der Baracken wurden entfernt. Vor allem aber durften deutsche Häftlinge ab Dezember 1953 ihren Angehörigen schreiben. Schülers Frau erhielt im Januar 1954 das erste Lebenszeichen von ihm. "Wir bekamen Post, auch Pakete, und mit deren Inhalt, absoluten Luxusgütern wie Schokolade, Kaffee, Zigaretten, konnten wir uns leichtere Arbeit erkaufen", erzählt der Workutaner.
Im Frühjahr 1955 wurden die deutschen Häftlinge aus Workuta in andere Regionen verlegt. Die etwa 100 Deutschen aus Lager 10 kamen in wochenlangen Transporten bis nach Irkutsk am Baikalsee. Sie fürchteten, dass man sie als Zeugen des Blutbades in ihrem Lager "verschwinden" lässt. Dann ging es plötzlich westwärts, in den Raum Swerdlowsk in ein Lager mit deutschen Kriegsgefangenen. Im September 1955 war eine westdeutsche Regierungsdelegation in Moskau. Bundeskanzler Konrad Adenauer erreichte die Heimkehr aller deutschen Gefangenen. Im Oktober begann die Heimreise und Schüler kam nach Friedland. Einige Tage später traf er in Berlin seine Frau wieder, die während seiner Haft weiter in Potsdam als Lehrerin lebte. Sie wurde aufgefordert, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen, wies das aber entrüstet zurück.
"Jeder Tag, jede Stunde in Workuta war ein einziger Schrecken. Jede Minute im Gefängnis war die reine Hölle. Als wir unser Urteil bekamen, da dachten manche von uns, na, 25 Jahre, das können die nicht ernst meinen. Und dann kamen wir in die Lager, trafen dort Menschen, die bereits 20 und mehr Jahre dort 'lebten'. Da wurde uns klar: Die meinen es wirklich ernst", sagt Schüler heute. Häftlinge, die ihre 25 Jahre Haft hinter sich hatten, durften nach der Entlassung nicht in ihre Heimat, sondern mussten als "Freie" in Workuta bleiben. Die Zahl der Toten ist unbekannt. Der ehemalige Häftling erzählt: "Wenn Leichen mit einem Grabkommando in einer elenden Holzkiste aus dem Lager kamen, dann wurde am Lagertor die Kiste nochmal geöffnet, damit der Posten sich überzeugen konnte, dass dort wirklich ein Toter liegt. Leichen wurden deshalb im Lazarett auch seziert. Früher schlug der Posten den Toten mit einem Hammer oder Eisen einfach den Schädel ein."
Die Lager in Workuta wurden Ende der 1950er Jahre unter Nikita Chruschtschow aufgelöst. 1992 war Schüler der erste deutsche Journalist, der die damals noch gesperrte Region Workuta besuchen durfte. Darüber schrieb er das Buch "Workuta - Erinnerung ohne Angst". Später besuchte er noch einige Male die Eishölle. 1996 wurde Schüler wie fast alle seine Kameraden von der russischen Militärstaatsanwaltschaft rehabilitiert und sein Urteil aufgehoben. Posthum geschah das auch für Hingerichtete, deren Leichen meist nachts auf dem Donskoje-Friedhof in Moskau verbrannt und deren Asche in anonymen Massengräbern versenkt wurde. Die von SMT Verurteilten wurden in gleicher Höhe entschädigt wie DDR-Häftlinge. Horst Schüler will aber nicht ruhen: "Heute leben noch etwas mehr als hundert Frauen und Männer meines Schicksals. Die meisten von uns sehen ihre Lebensaufgabe darin, jungen Menschen von ihrem Erlebten zu berichten. Wir wollen deutlich machen, dass Freiheit und demokratischer Rechtsstaat nicht selbstverständlich sind, sondern dass man sie immer und immer wieder verteidigen muss."
Der Artikel von Andreas von Delhaes-Guenther erschien im "Bayernkurier" am 11. Oktober 2014
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des "Bayernkurier"
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Eintrag vom 7.9.2014 HORST SCHÜLER GEEHRT
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke verlieh am 4. September 2014 u.a. die höchste Auszeichnung Brandenburgs an den Ehrenpräsidenten der „Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft“, Horst Schüler. Woidke sagte: "Die Geehrten sind mit ihrer Überzeugung, ihrer Leidenschaft und ihrem Mut zu Vorbildern und Vorreitern geworden. Sie alle haben auf ihre sehr persönliche Art Spuren hinterlassen, die auch für künftige Generationen sichtbar und wegweisend sind. Dafür gebührt ihnen der Respekt und der Dank der Landesregierung."
Horst Schüler hält als Zeitzeuge die notwendige Erinnerung an dunkle Kapitel in der Geschichte wach. Die gebürtige Babelsberger war 1951 Jahren von einem sowjetischen Militärtribunal wegen Widerstands gegen das System in der DDR zu 25 Jahren Haft verurteilt worden. Mehr als vier Jahre litt er als Zwangsarbeiter in der Strafregion Workuta. Für den heute 90-Jährigen war es immer ein wichtiges Anliegen, dass das Erlebte nicht in Vergessenheit gerät. So übernahm er den Vorsitz der "Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft", deren Ehrenpräsident er heute ist. Außerdem ist Horst Schüler Sprecher der Lagergemeinschaft Workuta/Gulag Sowjetunion. Woidke betonte: "Horst Schüler hat sich nie unterkriegen lassen. Immer wieder ist er aufgestanden, um für Freiheit und Demokratie zu kämpfen. Mit seinen Publikationen trug er zur Informations- und Bildungsarbeit bei. Gerade für nachfolgende Generationen ist das von großem Wert."
Quelle www.stk.brandenburg.de
...schließenEintrag vom 19.7.2014 PETITION UNTERSCHREIBEN
Der zentrale Gedächtnis- und Bildungsort für die Opfer des GULAG in Russland, "Perm 36" ist bedroht. Das einzige GULAG-Museum in Russland steht de facto vor der Schließung. Die langjährige und bewährte Direktorin Tatjana Kursina wurde vor kurzem abgesetzt. Das Museum ist seit Wochen geschlossen. Die russische Gedenkstätte für die Opfer des Gulags und für die Geschichte politischer Repressionen „Perm-36“ muss erhalten und unabhängig bleiben!
Bitte unterstützen Sie den Aufruf, die Gedenkstätte der Geschichte politischer Repressionen "Perm-36" vor der Schließung zu bewahren, die Wiederaufnahme der Museumstätigkeit auf Grundlage der vertraglich vereinbarten zivilgesellschaftlich-staatlichen Zusammenarbeit zu ermöglichen und Tatjana Kursina wieder als Direktorin des Museums einzusetzen mit Ihrer Unterschrift.
Weitere Infos unter:
http://www.memorial.de/
Eintrag vom 7.7.2014 NEUE BIOGRAFIE
Die Biografie von dem Berliner Sozialdemokraten Wolf Hinze (1927-2000) wurde am 7. Juli 2014 auf www.workuta.de veröffentlicht.
Eintrag vom 2.7.2014 ULRICH SCHMIDT IST TOT
Ulrich Schmidt verstarb am 2. Mai 2014 in seinem Domizil in Hamburg. Wer war Ulrich Schmidt?
Ein Nachruf von Günter Müller-Hellwig
Aufgewachsen ist Ulrich Schmidt in einem bürgerlichen Haushalt in Berlin-Köpenick. Schon als Jugendlicher beschäftigte sich der Hobbytüftler mit Problemen der Elektrotechnik. Durch die Einberufung zum Reichsarbeitsdienst konnte Schmidt die Gymnasial-Ausbildung nicht vollenden. Das „Gesetz über den Volkssturm“ (1944), mit dem im Dritten Reich die letzten personellen Reserven (für den Endkampf) zusammengezogen wurden, erfasste auch Ulrich Schmidt. Er wurde als 16-jähriger Volkssturmsoldat in den Kämpfen um Berlin eingesetzt und dabei verwundet. Er kam ins Lazarett und kurz in sowjetische Kriegsgefangenschaft, der er sich aber durch Flucht entzog. Wieder nach Köpenick zurückgekehrt, ging er seinem Hobbyberuf als Radioelektriker nach, da die Schulen 1945 erst im Herbst wieder eröffnet wurden.
Berlin-Köpenick war seit den letzten Apriltagen 1945 von Sowjettruppen besetzt, in deren Schlepptau die sowjetischen Geheimdienste mit Hilfe deutscher Spitzel nach Klassenfeinden und potenziellen „Saboteuren“ suchten.
Ulrich Schmidt gehörte zwar nicht zu den sogenannten deutschen Werwölfen (Terrorkommandos), dennoch wurde er von einem deutschen HJ-Spitzel als Werwolf-Anhänger denunziert, an die sowjetischen Büttel verraten und von den „Organen“ festgenommen.
Ein Kriegsgericht der Besatzer in Hessenwinkel bei Berlin verurteilte die sogenannte Köpenicker Gruppe nach dem berüchtigten Gummiparagraphen 58 des Strafgesetzes der RSFSR (Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjet-Republik) wegen Terrorismus und Gruppenbildung zu jeweils 15 Jahren Arbeitslager.
Für den jungen Ulrich Schmidt wurde sein 17. Geburtstag am 16. Oktober 1945 zum Beginn einer entsetzlichen Erkenntnis darüber, was Menschen anderen Mitmenschen antun können, wenn sie von einer entmenschlichten Ideologie wie dem Kommunismus getragen sind. An diesem Tag begann in Frankfurt/Oder der Gang vieler Verurteilten in die Verschleppung, der auch Ulrich Schmidt zunächst nach Brest Litowsk und weiter Richtung Moskau führte. In den Güterwaggons mangelte es an jeder Hygiene. Die Häftlinge litten an quälendem Hunger, Trinkwasser gab es nur sporadisch. Der Zug des Elends passierte Moskau und gelangte schließlich nach Rybinsk, einer Stadt ca. 300 Kilometer nördlich der Hauptstadt. Der Gefangenentransport war Wochen unterwegs gewesen. Bei der Ankunft in Rybinsk wurden neben Ulrich Schmidt und den restlichen Elendsgestalten einige Schwerkranke und – so Ulrichs Erinnerungen - zwanzig Tote entladen.
Im Lager Rybinsk konnte Ulrich Schmidt nach einer Phase der Genesung seine Kenntnisse als Elektriker erweitern, so dass er drei Jahre später, als er mit vielen anderen „Schwerstverbrechern“ als Sträfling unter strengem Regime in den Lagerbezirk Potjma (ca. 300 Kilometer südostwärts von Moskau) verlegt worden war, seinen Dienstposten als Lagerelektriker antreten konnte.
Noch einmal schlug das Schicksal zu: 1951 wurde der Elektriker Schmidt von einem Lagerspitzel denunziert: Schmidt habe die elektrische Absicherung des Lagerzauns sabotieren wollen. Ulrich Schmidt wanderte in ein Straflager.
Mitte 1953 – einige Wochen nach dem Tode des sowjetischen Herrschers J.W. Stalin – beabsichtigte die Verwaltung der sowjetischen Lager (GULag) auf Weisung der Kommunistischen Parteiführung, eine kleine Gruppe von Deutschen, die als politische Häftlinge und als Kriegsgefangene weiterhin inhaftiert waren (Gesamtzahl ca. 10.000), auf die Entlassung vorzubereiten: Etwas 1.000 männliche und 300 weibliche Verschleppte wurden in Tapiau (Sowjet-Ostpreußen) in einem Gefängnis zusammengeführt.
Ende Dezember 1953 begann die Heimreise. Über Leningrad ging der Transport wiederum an Brest Litowsk vorbei nach Frankfurt/Oder und Fürstenwalde/Spree. Nach erneuter Sichtung durch die „Organe des ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaats“ fand am 28. Dezember 1953 die Entlassung statt. Ulrich Schmidt erhielt einen postkartengroßen Zettel, auf dem geschrieben stand, der Inhaber habe vom 27. bis 28. Dezember 1953 im Lager Fürstenwalde zugebracht. Das war’s! Basta! Kein Wort über seine Inhaftierung in der DDR, kein Wort über die jahrelange Haft in sowjetischen Straf- und Arbeitslagern.
Nach kurzem Aufenthalt in seinem heimatlichen Berlin-Köpenick gelang Ulrich Schmidt die Flucht nach Berlin-West. Nach einer Unterbrechung von 8 Jahren und 6 Monaten setzte sich der Student wieder auf die Schulbank. Ulrich Schmidt studierte an der Fachhochschule Gauß in Berlin Elektro- und Fernmeldetechnik und verließ das Institut als Diplomingenieur. Als er 1957 seinen ersten Dienstposten bei Telefunken Berlin antrat, war er fast 30 Jahre alt. Aber er konnte dort und auch später als Produktmanager der Medizintechnik bei Philips Hamburg neben seinen theoretischen Kenntnissen auf einen gewaltigen Fundus an praktischen Erfahrungen und einfachen Lösungen zurückgreifen, die ihn der jahrelange Umgang mit Ignoranz und Mangel gelehrt hatte.
Ulrich Schmidt starb im Alter von 85 Jahren in Hamburg. Seine Ehefrau war schon einige Jahre zuvor verstorben. Mit uns ehemaligen Kameraden aus sowjetischer Haft nimmt eine Tochter Abschied von einem großartigen Menschen.
Ulrich Schmidt während seines letzten Moskau-Besuchs, Juni 2013.
Eintrag vom 29.6.2014 GULAG-AUSSTELLUNG
Die Ausstellung "Gulag. Spuren und Zeugnisse 1929–1956" ist vom 18. Juli bis zum 24. Oktober 2014 im Schweriner Marstall zu sehen. Die Eröffnung findet am 17. Juli 2014 statt.
Die Landesbeauftragte für MV für die Stasi-Unterlagen präsentiert vom 18. Juli bis 24. Oktober 2014 im Marstall in Schwerin die Ausstellung "Gulag. Spuren und Zeugnisse 1929 – 1956".
Die Ausstellung zeigt Spuren und Zeugnisse des sowjetischen Lagersystems, die die Menschenrechtsorganisation "Memorial" seit den 1980er Jahren aus der gesamten ehemaligen Sowjetunion zusammengetragen hat.
Das Projekt stellt sich dabei einer zentralen Frage: Wie lassen sich die Dimensionen des Gulag – von Zeitgenossen bereits als "Quintessenz" sowjetischer Gewaltherrschaft beschrieben – begreifen? Die Stimmen von Zeitzeugen und die Biografien ehemaliger Häftlinge begleiten den Besucher bei der Erkundung dieses fernen Archipels und schaffen ein Panorama des sowjetischen Lagersystems. Objekte aus dem Bestand von "Memorial" lassen den Lageralltag der Häftlinge gegenständlich werden: etwa ein selbstgenähtes Brotsäckchen, ein zerschlissenes Kleid oder eine metallene Totenmarke.
Eine Ausstellung der Gesellschaft "Memorial", Moskau und der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora in Kooperation mit der Stiftung Schloss Neuhardenberg, gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes. Die Landesbeauftragte für Mecklenburg-Vorpommern für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR präsentiert die Ausstellung im Marstall in Schwerin, in Medienpartnerschaft mit dem NDR, unterstützt durch das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern.
Eröffnung am 17. Juli 2014 um 17 Uhr
Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin, Konzertfoyer
Alter Garten 2
19055 Schwerin
Um Anmeldung in der Geschäftsstelle der Landesbeauftragten bis zum 10. Juli 2014 wird gebeten:
Telefon: 0385-734006
Fax: 0385-734007
post@lstu.mv-regierung.de
BESUCHERINFORMATIONEN
Ausstellungsort:
Marstall Schwerin
Werderstraße 120, 19055 Schwerin
18. Juli bis 24. Oktober 2014
Geöffnet täglich 10 – 18 Uhr
Eintritt: 5 Euro, ermäßigt 3 Euro, bis 18 Jahre frei
Ermäßigungen für Studenten, Schwerstbeschädigte, ALG-II-Empfänger, Sozialhilfeempfänger, Inhaber der Schwerin-Card
Führungen täglich 14 Uhr, für Gruppen mit Voranmeldung
Telefon: 0385–734006
Siehe auch: www.ausstellung-gulag.org/
...schließenEintrag vom 10.6.2014 BERICHT DER JAHRESTAGUNG
DIE FRAUEN IM GULAG
Dieses Thema stand im Mittelpunkt der Jahrestagung der Lagergemeinschaft Workuta/Gulag Sowjetunion, die vom 30. Mai bis 1. Juni 2014 in Karlsruhe stattfand.
Bericht von Horst Schüler
Als Referenten war der Berliner Historiker Dr. Meinhard Stark, Autor mehrerer Bücher über den sowjetischen Gulag, gewonnen worden. Sein Bericht über das Leiden der Frauen in den Gefängnissen und Straflagern löste in der anschließenden Diskussion erschütternde Schilderungen persönlicher Schicksale aus. Meist hatten Frauen ihre besonderen Erfahrungen und Leiden für sich bewahrt. Dass sie hier – wohl zum ersten Mal – öffentlich darüber sprachen, löste tiefe Betroffenheit aus.
Seit kurzem hat die Lagergemeinschaft eine eigene Internet-Seite (workuta.de), die von Stefan und Margreet Krikowski gestaltet wurde. Stefan, dessen bereits verstorbener Vater politischer Häftling in Workuta war, schilderte die besonderen Details dieser Seite, die in dieser Form bislang ohne Beispiel ist. In einem weiteren Referat berichtete Edda Ahrberg über eine Gruppenreise im vergangenen Jahr nach Workuta. Edda Ahrberg und Anne Drescher, Vorsitzende der Stasi-Unterlagenbehörde in Mecklenburg-Vorpommern, unterstützen seit Jahren die Arbeit der Lagergemeinschaft.
Über 80 ehemalige politische Häftlinge und Angehörige hatten sich im "Schlosshotel" zu dem von der Stiftung Aufarbeitung geförderten Treffen versammelt. Karlsruhes Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup hieß sie als gern gesehene Gäste seiner Stadt willkommen. Mit einem eindrucksvollen Grußwort würdigte er den Widerstand gegen den kommunistischen Terror, der entscheiden beigetragen hat, dass wir in einem vereinten freiheitlichen Rechtsstaat leben.
Die von Horst Schüler seit vielen Jahren geleitete Lagergemeinschaft wird trotz des hohen Alters ihrer Angehörigen weiter bestehen und eine wichtige Stimme unter den Opferverbänden führen Im kommenden Jahr soll wahrscheinlich Hannover oder Magdeburg Ort ihres Jahrestreffens sein.
Jahrestreffen der Lagergemeinschaft Workuta 2014 in Karlsruhe
Eintrag vom 5.6.2014 PRESSECLIP
OPFER DES UNRECHTS IN DER RESIDENZ DES RECHTS
Kirsten Etzold berichtet in der Zeitung "Badische Neueste Nachrichten" vom 31. Mai über die Jahrestagung der Lagergemeinschaft WORKUTA/GULAG SOWJETUNION, die vom 30. Mai bis zum 1. Juni 2014 in Karlsruhe stattfand.
"Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" nannten sich die elf jungen Leute in Möllensee bei Berlin. Ihr politisches Engagement gegen staatliche Willkür in der DDR nach der Gründung der zwei deutschen Staaten war lebensgefährlich. Am 15. März 1951 griff das Ministerium für Staatssicherheit (Stasi) der DDR zu. Verhaftung, Überstellung an den sowjetischen Geheimdienst NKWD, furchtbare Urteile nach einem "Prozess", der diese Bezeichnung nicht verdient, vor einem Militärgericht – was Theodor Desens und seinen Leidensgenossen widerfuhr, ist typisch für das Schicksal politisch Verfolgter aus den Anfangsjahren der DDR. Seit gestern treffen sich Überlebende der Lagergemeinschaft Workuta/ Gulag Sowjetunion in der Residenz des Rechts zu ihrer Jahrestagung, diesmal zum Thema "Frauen im Gulag". Organisator ist in diesem Jahr Martin Hoffmann, der ebenfalls jahrelange Haft in Workuta überlebte und zwei Zeitzeugenmuseen betreibt, eines davon im Wolfweg am Turmberg.
"Es ist wichtig, das Gedenken an den Widerstand gegen die Menschenrechtsverletzungen wach zu halten", sagte Oberbürgermeister Frank Mentrup zur Eröffnung der Tagung, die heute fortgesetzt wird. "In Karlsruhe pflegen wir die Erinnerung und die Auseinandersetzung damit als Teil von Demokratie."
Daten, Orte, Namen und viele präzise Details sind den Versammelten gegenwärtig – ein Phänomen, das zu den Folgen des Erlittenen gehört, wie Hoffmann verrät. Dem Tode nah war jeder der Männer, jede der sehr wenigen Frauen, die derzeit als noch reisefähige und geistig aktive Zeitzeugen im Schlosshotel ihr Wissen austauschen und vertiefen. Vier der Mitstreiter Desens’ wurden damals sofort zum Tode verurteilt und hingerichtet, zwei nach Taschkent verbannt, die fünf übrigen, darunter Desens, in Straflagerhaft nach Sibirien geschickt.
Auch der damalige Technikstudent und heutige Karlsruher Historiker und Philosoph Hoffmann bezeugt das Schicksal Gleichaltriger, die mit ihm im sächsischen Mittweida verhaftet, nach Moskau verschleppt und dort hingerichtet wurden. Hoffmann wurde zu mehrfach lebenslänglicher Straflagerhaft "begnadigt". 1955 kam für die meisten derjenigen, die nicht an Hunger oder Krankheit infolge entsetzlicher Lebensbedingungen gestorben waren, die rettende Entlassung durch den Verhandlungserfolg Konrad Adenauers. Doch für manche dauerte das Martyrium noch länger. Lothar Scholz aus Berlin zum Beispiel, Jahrgang 1928, wurde nach zehn Jahren Haft in Workuta erst 1957 entlassen. "Ich war geflohen und wieder gefasst worden. Daher galt ich als Schwerverbrecher", erklärt der überaus rüstig gebliebene Tagungsteilnehmer. Fast alle aus politischer Gefangenschaft in der Sowjetunion entlassenen Deutschen flohen gleich weiter in den Westen: In der DDR begegneten ihnen sofort wieder amtliche Repressalien, erneut drohte Haft. "Zwei Tage nach meiner Heimkehr, ich war 20 Jahre alt, musste ich beim Arbeitsamt antreten", berichtet Theodor Desens. Man teilte dem jungen Mann mit, in welcher Fabrik er zu arbeiten habe. "Auf meine Frage nach einer Berufsausbildung hieß es nur, nun solle ich erst meinen Anteil zum Aufbau des Sozialismus leisten", erinnert sich der heute 86-Jährige. Er nutzte die letzten Tage der Gültigkeit seines Übergangspasses zur Ausreise nach Westdeutschland.
Inzwischen setzt die nächste Generation die Forschungsarbeit der Workuta- Veteranen fort. Der 1958 geborene Joachim Desens gehört dazu. "Das Unrecht, das meine Familie zweimal erlitten hat – durch die Vertreibung aus Pommern und die Inhaftierung meines Vaters – ist sicher mit ein Grund für meinen beruflichen Weg", sagt der Oberstaatsanwalt aus Potsdam. Für die einstigen Lagerhäftlinge organisierte er gestern eine Sonderführung im Bundesverfassungsgericht als zentralem Element bundesdeutscher Rechtsstaatlichkeit. "Dies kennenzulernen, ist etwas Besonderes für uns", sagt Desens senior. Das Leid politisch verfolgter Deutscher ist ihm auch aus seiner Arbeit im Ausschuss der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge in Bonn vertraut: "Viele DDR-Bürger haben gelitten."
Ein Artikel von Kirsten Etzold, erschienen in "Badische Neueste Nachrichten" am 31. Mai 2014
Mit freundlicher Genehmigung der "Badische Neueste Nachrichten"
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Eintrag vom 16.4.2014 REZENSION
Julius Margolins Odyssee durch den Gulag.
Die Wahrheit von Workuta.
Es war einmal eine Weltvollendungsideologie, welche die Menschheit in Gläubige und Ungläubige spaltete. Ihr Name war Kommunismus und ihre Heimat die Sowjetunion.
Die Kommunisten waren 1917 an die Macht gelangt, doch weil das für die nahe Zukunft vorausgesagte Heil einer klassenlosen Gesellschaft nicht eintreffen wollte, mussten immer neue Schuldige her, um zu erklären, warum das Experiment (noch) nicht funktionierte. Dabei war das grösste Übel bald beiseitegeräumt: der Zar, der Adel und das liberale Bürgertum, die kritische Intelligenz und die an ihrer Scholle hängenden Kleinbauern. Blieben, sich endlos vermehrend, die «Verräter» in den eigenen Reihen. Säuberungen wurden zum Krebs des Systems. Der Gulag wurde erfunden, wer irgendwie «auffällig» wurde, ging den Weg nach Sibirien – ohne Wiederkehr. Nach aussen hin wusste man den schönen Schein von Gleichheit und Brüderlichkeit schlau zu wahren. Wer den roten Terror zu kritisieren wagte, war ein Ketzer. Jugendbewegt, absolut modern und nach dem «Tod Gottes» auf der Suche nach einer neuen Religion, liessen sich die Genossen weltweit vom utopischen Spuk in der UdSSR nur zu gern blenden.
Ende einer Illusion.
Vor uns liegt ein Buch, das an die Nieren und Wurzeln geht. Es räumt mit sämtlichen Illusionen auf, die man sich jemals über die mögliche Humanität des real existierenden Sozialismus machen konnte. Verfasst hat es einer, der den ganzen Kreis der sibirischen Hölle abschritt und trotz unsäglichem eigenem Leid ein kaltes Auge und einen klaren Verstand bewahrte. Sein Blick führt hinter die Propagandakulissen in einen Abgrund, in dem namenlos und unbeweint zig Millionen von Toten liegen. «Das Land der Lager ist in keiner sowjetischen Karte eingetragen, man findet es in keinem Atlas. Es ist das einzige Land der Welt, wo es über die Sowjetunion keinen Streit, keinen Irrtum und keine Illusionen gibt», schreibt der 1937 nach Palästina ausgewanderte Pole Julius Margolin im Ingress zu seinem 600-Seiten-Epos über seine fünfjährige Odyssee durch das Schattenreich des Archipel Gulag. Am 21. Juni 1946 war er als Greis von 46 Jahren aus dem Besserungsarbeitslager Kotlas im Gebiet Archangelsk entlassen worden. In nur zehn Monaten schrieb er jenes Buch der Erinnerung nieder, dessen Plan ihn in der Verzweiflung am Leben gehalten hatte. Dabei war der Hass in ihm schon lange erkaltet, denn Täter waren alle und keiner – es war der real gewordene Traum vom Kommunismus, der Ungeheuer gebar.
Sein Überleben sieht Margolin als Verpflichtung, die ganze Wahrheit zu sagen. Es geht darum, die Verbrechen zu benennen, die mörderische Logik des Systems zu durchschauen und an die Opfer zu erinnern. Während sein Manuskript wächst, gehen in den Weiten des hohen Nordens noch immer Legionen an Sklavenarbeit zugrunde. Margolins Glück war es, sich als Mensch westlicher Denkungsart im Innern des Horrors den stereoskopischen Blick von aussen und im Kern die Rationalität zu bewahren. Ohne den Anker des Logos hätte ihn das Absurde verschlungen.
Margolin war einer der Ersten, die über das ganze Ausmass an Unmenschlichkeit des Gulag frei sprechen konnten. Indes war es nicht so, dass man in Israel begierig war, die Botschaft des einsamen Zeugen zu hören. Zu dankbar war man Stalin für den Sieg über Nazideutschland. So wurde das Buch um seine unerhörte Wucht und seinen literarischen Glanz geprellt. 1949 kommt in Frankreich eine gekürzte Version heraus, 1952 erscheint eine noch stärker gestutzte englische Fassung, aus der 1965 die deutsche Übersetzung hervorgeht. Die erste komplette Ausgabe seines Buches (2010 in Frankreich) erlebte der 1971 in Tel Aviv verstorbene Autor nicht mehr. Nun endlich liegt das ganze Konvolut in einer würdigen Edition auf Deutsch vor. Eine hebräische Ausgabe fehlt nach wie vor.
Nur schon der erste Teil, wo Margolin schildert, wie er als Heimatbesucher in Lodz bei Kriegsausbruch am 1. September 1939 in die Zange zwischen der Wehrmacht und der Roten Armee gerät, lohnt die Lektüre. So dramatisch und drastisch, so aufwühlend und anschaulich hat man noch nie gelesen, was der Hitler-Stalin-Pakt für den nichtsahnenden Einzelnen bedeutete, zumal dann, wenn er jüdisch war. Margolins Flucht geht nach Osten, vorbei an endlosen Flüchtlingszügen. Doch ist Rumäniens Grenze gesperrt und bleibt der Hafen von Constanza, wo er sich nach Haifa zu seiner Familie einschiffen will, unerreichbar.
Als die Rote Armee am 17. September in Ostpolen eindringt, kennt die Verwirrung kein Ende. Wo die Juden von Pinsk die Sowjets zunächst als Befreier bejubeln, macht sich bald Entsetzen breit, als die Sowjetisierung mit politischer und ethnischer «Säuberung» zu greifen beginnt. Die neuen Herren, die sich als Befreier geben, zeigen ihr wahres Gesicht, denn der Totalitarismus ihrer Weltanschauung lässt sich nur mit Terror durchsetzen. Margolin, als Brillenträger per se verdächtig, wird 1941 verhaftet, weil er sich ohne gültige Papiere auf sowjetischem Staatsgebiet (!) befindet, und in ein Straflager am Weissmeerkanal deportiert. Er ahnt nicht, dass die Welt seiner Kindheit, die er zurücklässt, der Vernichtung geweiht ist.
Da, wo der «rollende Sarg» mit seiner Menschenfracht zum Stehen kommt, leben die «Waldbewohner». Spätestens hier verwandelt sich das Buch in einen Schwarz-Weiss-Film von so dämonisch-tragisch-grotesker Art, als hätten Dante und Tarkowski gemeinsam Regie geführt. Die Seiten quellen über von Episoden und Figuren, von denen jede auf ihre Weise signifikant ist. Margolin entwirft eine detaillierte Phänomenologie der «Staatssklaverei» – vom Holzschlag über die Bewachung bis zum Strafwesen, vom Essen über die Hygiene bis zur Bürokratie, von den Arbeitsnormen, den Formen des Widerstands und den Arten des Sterbens. Aller Würde entkleidet, werden die Gefangenen zu gierigen Agenten ihres nackten Überlebens. Anstrengung und Hunger, Kälte und Hoffnungslosigkeit zehren an ihnen – und sie selber etablieren eine brutale Hackordnung. Anfangs sind die Polen als fremde Gruppe noch geschützt, doch dann verschwinden sie in der «mausgrauen» Masse.
Funken von Humanität
Mit stockendem Atem liest man dieses Buch, das nicht nur den Schleier vom obszönen innersten Geheimnis des Sowjetkommunismus reisst, sondern auch ein sprachliches und erzählerisches Meisterwerk darstellt. Margolin hat auf seinem Weg durch die Lagerwelt unglaubliches Glück, denn kaum einer überlebt auf Dauer Hunger und Kälte, Demütigung und Schinderei. Bis zur Selbstverleugnung sucht er der eigenen Entmenschlichung zu widerstehen – und immer wieder helfen ihm Leute, die sich Funken von Humanität bewahrt haben.
Julius Margolin mit seinem Wissen, seiner Weisheit und seinem Witz ist der Richtige, sich der Absurdität anzunähern, dass hier der Preis für eine bessere Welt gezahlt wird. 1900 in Pinsk geboren, vielsprachig sozialisiert und hoch gebildet, war er einer jener selbstbewussten jungen Juden, die sich vom religiösen Herkunftsmilieu im Osten emanzipierten und in den europäischen Metropolen den aufgeklärt-säkularen Weg gingen. Seine Aufzeichnungen gehören fortan zusammen mit jenen von Alexander Solschenizyn und Gustav Herling, aber auch von Primo Levi und Imre Kertész genannt. «Reise in das Land der Lager» ist eines der grossen Erinnerungsbücher des totalitären 20. Jahrhunderts. Der Vergleich von Gulag und Holocaust ist problematisch, doch stellt er sich hier auf dämonisch-ironische Weise von alleine ein: Es war am Ende der Horror des Gulag, der den Autor vor dem Tod in einem NS-Vernichtungslager bewahrte.
Ein Artikel von Andreas Breitenstein, erschienen in der "Neuen Zürcher Zeitung" am 18. März 2014
Mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zürcher Zeitung
Julius Margolin
Reise in das Land der Lager
Suhrkamp
Erschienen: November 2013
ISBN: 978-3-518-42406-3
Gebunden, 638 Seiten, 39€
www.suhrkamp.de/buecher/reise_in_das_land_der_lager-julius_margolin_42406.html
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Eintrag vom 28.2.2014 GULAG-AUSSTELLUNG
Die Ausstellung "Gulag. Spuren und Zeugnisse 1929–1956" ist vom 12. März bis zum 29. Juni 2014 im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig zu sehen.
Die Ausstellung erinnert an einen besonders erschütternden Teil der Geschichte des 20. Jahrhunderts, der in der Bundesrepublik erstmals durch Alexander Solschenizyns Roman „Archipel Gulag“ einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde. Zahlreiche Relikte und Dokumente veranschaulichen die Geschichte des Systems der sowjetischen Straf- und Zwangsarbeitslager. Biografien und Zeugnisse von ehemaligen Häftlingen schaffen ein bewegendes Panorama des sowjetischen Lagersystems. Die Präsentation wurde in mehr als dreijähriger Arbeit von der Gesellschaft "Memorial", Moskau, und der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora in Kooperation mit der Stiftung Schloss Neuhardenberg realisiert.
Zeitgeschichtliches Forum Leipzig
Grimmaische Straße 6
04109 Leipzig
Telefon +49 (0) 341 / 22 20-0
Öffnungszeiten: Di - Fr 9-18 Uhr, Sa/So/Feiertage 10-18 Uhr
Eintritt frei
www.hdg.de/leipzig/presse/news-details/zeitgeschichtliches-forum-leipzig-praesentiert-neue-ausstellung-gulag-spuren-und-zeugnisse-1929-1956/
Siehe auch:
www.ausstellung-gulag.org/
Eintrag vom 4.1.2014 AUSSTELLUNG – WARLAM SCHALAMOW
Die Ausstellung über Warlam Schalamow wird vom 23. Januar bis zum 16. März 2014 in der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg gezeigt.
Leben oder Schreiben - Der Erzähler Warlam Schalamow
"Im Lager sitzen Opfer des Gesetzes, Menschen, auf die zu einem gegebenen Moment, Tag und Stunde, das Geschützfeuer des Gerichts gerichtet war. Wer in dieses Feuer geraten ist, der sitzt." Warlam Schalamow (geb. 1907, gest. 1982) verbrachte zwanzig Jahre seines Lebens in Gefängnissen und Gulags. Ende Februar 1929 geriet er zum ersten Mal in die Fänge des sowjetischen Inlandgeheimdienstes, GPU, und wurde wegen "konterrevolutionärer Agitation und Organisation" zu mehreren Jahren Haft und Verbannung verurteilt. Vorzeitig 1931 amnestiert, ging er nach Moskau zurück. Im Zuge der stalinistischen Säuberungen wurde Schalamow im Januar 1937 erneut verhaftet. Wegen Trotzkismus und konterrevolutionärer Tätigkeit zu fünf Jahren "Arbeitsbesserungslager" verurteilt, verbüßte er seine Haft bis 1951 auf der Starizki-Halbinsel (Sibirien) im Gulag am Fluss Kolyma. Seine Erfahrungen mit der Enthumanisierung durch Arbeit und Tod schrieb Schalamow illegal auf; sie wurden später in "Erzählungen aus Kolyma" veröffentlicht. Er beschreibt darin seine Zeit, die er als Zwangsarbeiter erlitten hat, geprägt von der sibirischen Natur, von Strafen, Verrat und von Abweisungen. Im Mittelpunkt des Lagerlebens stand die Vernichtung des einzelnen. Diese Erfahrungen und der immer währende Kampf ums Überleben prägten sein restliches Leben. Nach der Freilassung fand Schalamow nicht mehr in die Gesellschaft zurück; kontinuierliche, feste und verpflichtende Bindungen zu anderen Menschen waren nicht mehr möglich. Die Erzählungen Schalamows reihen sich in die Literatur über die Erfahrungen des Einzelnen in die Todeslager des 20. Jahrhundert wie die von Alexander Solschenizyn, Imre Kertész, Jorge Semprún und Primo Levi ein.
Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte
Pfaffengasse 18, 69117 Heidelberg
Tel.: 06221/9107 - 0
www.ebert-gedenkstaette.de
Öffnungszeiten:
Täglich außer Montag: von 10.00 bis 18.00 Uhr
Donnerstags bis 20.00 Uhr
Eintritt frei