Aktuelles
Eintrag vom 4.12.2016 22. HALLE-FORUM
Das lange Ringen um Anerkennung
Ein Bericht von Gerald Wiemers
Das 22. Halle-Forum vom 3. und 4. Nov. 2016 stand unter dem Motto "Der Umgang mit den Opfern kommunistischer Diktaturen. Aufarbeiten-Entschädigen-Anerkennen". Dabei sollte das "Anerkennen" vor dem "Entschädigen" stehen.
Der langjährige verdienstvolle Leiter der Gedenkstätte "Roter Ochse" – dort fand die Veranstaltung statt - Dr. Andrè Gursky gab einen kurzen Überblich zur positiven Entwicklung des Halle-Forums. Er begrüßte die rund 80 Teilnehmer, darunter allerdings nur sechs ehemalige Opfer. Zu den Gründungmitgliedern des Forums gehört der ehemalige Hallenser Medizinstudent, Workuta-Häftling und spätere Generalarzt der Bundeswehr Dr. Horst Hennig aus Köln. Am 24. Febr. 1994 hat er zum 1. Halle-Forum den Militärstaatsanwalt der russischen Föderation, Kopalin, für einen Vortrag gewinnen können. Kopalin hat die Rehabilitation der politischen Häftlinge im GULag durchgeführt und später auf weiteren Veranstaltungen in Deutschland gesprochen.
- 22.Halle-Forum: Dr. Gerald Diesener, Prof. Dr. Gerald Wiemers, Dr. Andrè Gursky und Dr. Horst Hennig (v.l.n.r.) (Foto: G. Wiemers)
Erinnern wird als Aufgabe immer bleiben. Die Opfer politischer Gewalt brauchen, so der Bürgermeister der Stadt Halle, Egbert Geier, die Anerkennung durch die Gesellschaft Ähnlich äußerte sich der Bildungsminister des Landes Sachsen-Anhalt, Marco Tullner, der die Lager mit politischen Gefangenen in der DDR geißelte.
Für den erkrankten und leider inzwischen gestorbenen Hans-Jürgen Grasemann sprach der Oberstaatsanwalt im Ruhestand, Bernhard Jahntz zum Thema "Der Umgang mit den Opfern kommunistischer Diktaturen". Tatsächlich lag die Anklagequote bei der DDR-Regierungskriminalität niedriger als bei der allgemeinen Strafverfolgung. Das ist bis heute für die Opfer unbefriedigend, zuweilen traumatisierend. Dennoch zog Jahntz eine positive Bilanz, weil "die Justiz kenntlich macht, dass auch das Unrecht von Politikern, die sonst immun sind, konsequent verfolgt wurde." In der Diskussion ist deutlich geworden, dass die DDR als Mitglied der UNO dem Völkerrecht verpflichtet war, aber die einfachen Menschenrechte nicht einhielt, eben ein Unrechtsstaat.
Viel zu spät und unzureichend ist den Verfolgten der kommunistischen Gewaltherrschaft eine Opferrente zuerkannt worden. Das gesetzgebende Verfahren zog sich zwischen 1992 bis 2007 hin, ehe die Eckpunkte fixiert waren. Die Opferrente betrug am 28. August 2007 maximal 250 Euro monatlich. Sieben Jahre später beschloss der Bundestag am 4. Dezember 2014 diese Rente auf 300 Euro zu erhöhen. Nicht zu Unrecht empfinden zahlreiche politisch Verfolgte diese Opferente als ein Almosen. Den strafrechtlichen und beruflichen Rehabilitationen folgte nicht, wie Dr. Clemens Vollnhals vom Hannah-Ahrendt-Institut in Dresden festhielt, der gerechte finanzielle Ausgleich. Die Eingliederungshilfen durch die jeweils regierenden Parteien bleiben stets eng begrenzt. Die ungleiche Behandlung von KZ-Häftlingen und Häftlingen im GULag ist nicht nur der Bürokratie geschuldet sondern vor allem der politischen Opportunität und dem herrschenden Zeitgeist.
Horst Böttge stellte ein Jahr nach dem Tode seines Bruders Richard dessen Lebensweg in einem Buch vor: "Drangsaliert und dekoriert. Von der Kunst des Überlebens in der DDR." Als 16-Jähriger wird Richard Böttge verhaftet und von einem Sowjetischen Militärtribunal (SMT) zu 10 Jahren Arbeitslager verurteilt. Sein Vergehen bestand darin, ein Lenin-Bild verunziert zu haben, bestenfalls ein Dummejungenstreich. Es folgte später eine Karriere voller Ehrlichkeit, Zielstrebigkeit und Erfolg in der DDR-Wasserwirtschaft, wie sie zahllose DDR-Bürger so oder ähnlich erlebt haben.
Über die Errichtung von Denkmalen und musealen Gedenkorten zur Erinnerung an die kommunistische Diktatur erinnert Dr. Anna Kaminsky. Sie spannt den Bogen weit über Sachsen-Anhalt hinaus bis nach Mittel– und Osteuropa: Lager und Gefängnisse, Orte, die an Mauern und Grenzen erinnern und anderes mehr.
Die Veranstaltung hat ihren Zweck nur teilweise erfüllt. Der Umgang mit den Opfern kommunistischer Diktaturen ist heute ein anderer als noch vor 20 Jahren. Die kommunistischen Zwangsherrschaften erscheinen in einem milderen Licht. Die Wiederauferstehung des Massenmörders Stalin in Rußland und in einigen ehemaligen Staaten der UdSSR sind ebenso ein sichtbares Zeichen wie die ungebrochene Verklärung des sogenannten Nichtangriffspaktes zwischen der Sowjetunion und Deutschland. Es ist auch nicht gelungen, das Geschichtsbild vom GULag einer breiten Öffentlichkeit oder gar in die Geschichtsbücher der Schulen zu transportieren. Es bleibt noch viel zu tun. Nicht alles kann das Halle-Forum leisten.
* Die heute noch lebenden Zeitzeugen des Aufstandes sind: Dietmar Bockel, Günther Friedrich, Heini Fritsche, Horst Hennig, Günter Rehbein und Horst Schüler.
...schließenEintrag vom 3.11.2016 BERNHARD SCHULZ IST TOT
Bernhard Schulz verstarb am 19. Oktober 2016 im Alter von 90 Jahren in Vaihingen, nahe Stuttgart.
Ein Nachruf von Horst Schüler
Am 19. Oktober 2016 ist Bernhard Schulz in Vaihingen, nahe Stuttgart verstorben. Der 1926 im schlesischen Lauban geborene Schulz gehörte zu den wenigen noch lebenden Deutschen des Lagers 10, 29. Schacht, der Gulag-Strafregion Workuta. Am 4.9.1947 war er mit seiner späteren Frau Edith "Ditha" in Potsdam verhaftet und beide nach über 2 Jahren Haft in Dresden zu jeweils 25 Jahren Haft verurteilt worden. Beide kamen nach Workuta. Als am 1. August 1953 im Lager 10 der Aufstand der Häftlinge blutig niedergeschlagen wurde - 64 Tote - zählte Bernhard Schulz zu den vielen hundert schwer Verwundeten. Im Oktober 1955 wurde er in die BRD entlassen. Für seine lange Haftzeit wurde Bernhard Schulz im Jahr 1996 von der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation rehabilitiert. Wir trauern wieder um einen guten Kameraden.
...schließenEintrag vom 29.8.2016 HANS-JÜRGEN JENNERJAHN IST TOT
Hans-Jürgen Jennerjahn verstarb am 28. August 2016 im Alter von 87 Jahren in Lemgow.
Ein Nachruf von Burkhard Bley
Hans-Jürgen Jennerjahn wurde am 8. Oktober 1928 in Schwerin geboren. Als Jugendreferent der Liberal-Demokratischen Partei (LDP) trat er im Oktober 1949 nach der Verhaftung seines Parteifreundes Arno Esch aus der Partei aus und engagierte sich mit Freunden im Widerstand. Am 5. Juli 1950 wurde Hans-Jürgen Jennerjahn vom Staatssicherheitsdienst verhaftet und der sowjetischen Geheimpolizei NKWD übergeben. Am 19. Oktober 1950 verurteilte ihn das sowjetische Militärtribunal in Schwerin mit 11 anderen Personen wegen antisowjetischer Propaganda und illegaler Gruppenbildung. Hans-Jürgen Jennerjahn wurde zu zweimal 25 Jahren verurteilt, zusammengezogen zu 25 Jahren Strafarbeitslager. Im Zwangsarbeitslager Workuta nördlich des Polarkreises musste er unter harten und menschenunwürdigen Bedingungen Schwerstarbeit in einem Kohlebergwerk leisten. Die Angehörigen von Hans-Jürgen Jennerjahn erfuhren erst Ende 1953 durch Heimkehrer von seinem Schicksal.
Nach seiner Entlassung am 15. Oktober 1955 floh er über Westberlin in den Westen nach Hamburg. Dort arbeitete er zunächst in seinem Beruf als Kaufmann und später bis zu seiner Pensionierung als Steuerinspektor beim Finanzamt. Hans-Jürgen Jennerjahn wurde am 26. Juni 1996 durch die Militärhauptstaatsanwaltschaft Moskau rehabilitiert.
Hans-Jürgen Jennerjahn gründete 1956 einen Ortsverband der Heimkehrer, Kriegsgefangenen und Vermisstenangehörigen und engagierte sich später in der Lagergemeinschaft Workuta/GULag.
- Hans-Jürgen Jennerjahn bei der Protestaktion vor dem Lenin-Denkmal, Schwerin, Juni 2016.
Die Landesbeauftragte für MV für die Stasi-Unterlagen Anne Drescher würdigte Hans-Jürgen Jennerjahn als unermüdlichen Aufklärer und Zeitzeugen für die Aufarbeitung der kommunistischen Gewaltherrschaft. Noch im Juni 2016 erinnerte Hans-Jürgen Jennerjahn auf der Jahrestagung der Lagergemeinschaft Workuta/GULag in Schwerin an die Unterdrückung durch die sowjetische Besatzungsmacht und die SED-Diktatur. Mit seinen Haftkameraden protestierte er gegen das Lenin-Denkmal im Schweriner Neubaugebiet Mueßer Holz als mutmaßlich einzig verbliebenes Lenin-Denkmal des ehemaligen Ostblocks außerhalb Russlands.
Schwerin, 29.08.2016
Burkhard Bley
Stellvertretender Landesbeauftragter
für Mecklenburg-Vorpommern
für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR
Eintrag vom 13.8.2016 KARL KELLER IST TOT
Karl Keller verstarb am 4. August 2016 im Alter von 86 Jahren in Pulheim.
Ein Nachruf von Wilhelm K.H.Schmidt
Am 4. August 2016 starb nach kurzer schwerer Krankheit der aus Bessarabien stammende Karl Wilhelm Keller, geboren am 13. April 1930 in Neu-Sarata, KFZ-Mechanikerlehrling in Vellahn bei Hagenow, Taxifahrer im Geschäft seines Vaters, politischer Häftling des NKWD seit dem 13. Oktober 1951, Schmied und Spitzenfußballer im sowjetischen Straflager Workuta, als Arbeitsverweigerer im Inta-Lager und im Waldlager Suchobeswodnoje - Titelgeber für die Dokumentation "Abseits im Strafraum" - und nach seiner Haftentlassung am 16. Oktober 1955 Feinmechaniker, Tankstellenpächter, Mess- und Regeltechniker, EDV-Operator und Unternehmer in Köln und Bauweiler, bis zuletzt PKW- und LKW-Fahrer im Logistik-Unternehmen seines Sohnes in Pulheim.
- Karl Keller, 2012
Der immer neugierige Karl Keller begriff seine Haft als Zeit des ständigen Lernens. Für ihn war der abendliche Kontakt in dem warmen Trockenraum, der Suschilka, mit jüdisch-russischen Akademikern eine permanente Bildungsmaßnahme. Was sein sprachtalentierter Vater bei ihm nicht durchsetzen konnte, erreichte Karl Keller aus eigenem Antrieb. In nur wenigen Wochen erlernte er die russische Sprache. Damit änderte sich auch sein Verhalten gegenüber seinen Bewachern, und er entdeckte, dass auch sie ihr Los im lebensfeindlichen Workuta nur befehlsgemäß ertragen konnten. Als dann die Lagerleitung schon nach wenigen Wochen sein überdurchschnittliches Fußballtalent entdeckte, gab es Gespräche auf Augenhöhe. Selbst die Haft im gefürchteten Isolator als grausame Strafmaßnahme wegen Übertretung von Festlegungen der Lagerordnung und seiner Arbeitsverweigerung erleichterten ihm wohlgesonnene russische Aufseher.
Großen Wert legte Karl Keller nach der Haftentlassung nach Westdeutschland auf die Pflege der Freundschaft mit Lagerkameraden seines Vertrauens. Herbert Kollmorgen, sein Intimus seit ihrer gemeinsamen Autoschlosserlehre in Hagenow, erst nach 99 Tagen in der Todeszelle begnadigt zu 25 Jahren verschärftem Straflager wegen Ausspionierens von Wilhelm Zaisser, dem ersten Geheimdienstchef der DDR, der ungeschlagene Schachspieler Herbert "Bebbi" Erlenkamp aus ihrer gemeinsamen Zeit in der Potsdamer Tribunalzelle, der Geiger und Fußballer Günter Frenzel, der Berliner Rudolf Sommer aus dem Schacht 29 und Edgar "Fischer" Koopmann, der als der Cheffahrer Informationen über den späteren Armeegeneral Heinz "Boris" Hoffmann an die Amerikaner lieferte und nicht zuletzt sein Fußballerfreund Helmuth Budach und der bayrische Lagerkamerad Max Moosbauer gehörten zu seinem Freundeskreis: "Alles standfeste Typen, gestandene Männer, die schon im Lager ihr Leben gemeistert hatten…." Gemeinsame Urlaubsreisen mit der ganzen Familie, Gastgeber für gemeinsame Karnevalfeiern im Rheinland und immer wieder Besuche und Telefonate, solange sie lebten, schweißte die "Ehemaligen" zusammen.
Weihnachten 2015 trafen wir uns bei Roland Bude in Swisttal bei einem zünftigen russischen Abendbrot mit viel Wodka, Schwarzbrot und Knoblauchzehen. Die dabei emotional geführten Gespräche über ihre Rehabilitierung und die ihrer Lagerkameraden und die Rolle Adenauers bei der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der UdSSR und der Rückführung der letzten Kriegsgefangenen und politischen Häftlingen bei seinem Moskau-Besuch im September 1955 sind aufgezeichnet. Niemand konnte ahnen, dass wir Karl Keller nicht wiedersehen werden. Nur seine Stimme können wir noch hören.
Am Freitag, dem 12. August 2016, haben wir ihn zu seiner letzten Ruhestätte auf dem Friedhof Blumenstraße in Pulheim begleitet.
Wilhelm K.H. Schmidt
...schließenEintrag vom 12.8.2016 ANKÜNDIGUNG
Die nächste Jahrestagung der Lagergemeinschaft Workuta/Gulag Sowjetunion wird vom 8. bis zum 10. Juni 2017 in Berlin stattfinden.
Thema der Tagung: "Vor 100 Jahren - Die Revolution, die die Welt veränderte."
Tagungshotel:
NH-Hotel Berlin-Mitte
Leipzigerstr. 106-111
10117 Berlin
Tagungsort:
Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Kronenstr. 5
10117 Berlin-Mitte
http://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/index.html
Ein ausführlicher Rundbrief an Freunde und Mitglieder der Lagergemeinschaft wird im September verschickt.
Eintrag vom 12.6.2016 NEUERSCHEINUNG
Das Lager ist das ganze Leben: Warlam Schalamows Gulag-Roman "Wischera".
"Am 19. Februar 1929 wurde ich verhaftet. In diesem Tag und dieser Stunde sehe ich den Beginn meines gesellschaftlichen Lebens – die erste wahre Prüfung unter harten Bedingungen." Warlam Schalamow ist noch keine 22 Jahre alt, entschlossen, sein Leben in den Dienst seiner politischen Ideale zu stellen, als er verhaftet wird und im Butyrka-Gefängnis anderthalb Monate in einer Einzelzelle verbringen muss. Wischera sind die von Schalamow als ›Antiroman‹ bezeichneten Erinnerungen an seine erste Verhaftung und an das Zwangsarbeitslager am Fluss Wischera im Nordural, in dem er drei Jahre verbrachte. Es sind die ›Lehrjahre‹ eines Schriftstellers, der wie kein anderer das stalinistische Lagersystem mit literarischen Mitteln darstellte. Neben den Erzählungen aus Kolyma belegt vor allem dieses unvollendet gebliebene autobiografische Buch seine prinzipielle Zurückweisung der Romanform nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts und seine Suche nach neuen Möglichkeiten des Prosaschreibens.
Pressestimme - Tagesspiegel vom 12.6.2016:
http://www.pressreader.com/germany/der-tagesspiegel/20160612/281891592550896
Warlam Schalamow
Wischera. Antiroman.
Matthes und Seitz Berlin
ISBN: 978-3-95757-256-1
270 Seiten, 22,90€
Eintrag vom 9.6.2016 BERICHT DER JAHRESTAGUNG
ERLEBT, ERINNERN, VERMITTELN
Dieses Thema stand im Mittelpunkt der Jahrestagung der Lagergemeinschaft Workuta/Gulag Sowjetunion, die vom 3. bis 5. Juni 2016 in Schwerin stattfand.
Bericht von Prof. Dr. Gerald Wiemers
Sie kamen aus ganz Deutschland: ehemalige politische Häftlinge aus Workuta, ihre Angehörigen, Kinder, Enkelkinder und Freunde; ca. 80 Teilnehmer. Vor 16 Jahren war Schwerin schon einmal Gastgeber der Lagergemeinschaft. Zahlreiche ehemalige Häftlinge leben nicht mehr, andere konnten aus gesundheitlichen Gründen nicht kommen. Die lange Haft in einer der unwirtlichsten Gegenden der Welt nördlich des Polarkreises hatte ihre Spuren hinterlassen. Darauf ging der Vorsitzende Horst Schüler in seiner Ansprache kurz ein.
Die Leitung der Veranstaltung lag in den Händen von Frau Edda Ahrberg, ehemalige Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes in Sachsen-Anhalt, und von Frau Anne Drescher, amtierende Landesbeauftragte für Mecklenburg-Vorpommern. Sie hatten das umfängliche Programm vorbereitet und auf die exakte Durchführung geachtet. Dafür gebührt beiden Damen großer Dank. Presse, Funk und Fernsehen begleiteten die Veranstaltung. Zuletzt gab Horst Schüler vor dem noch immer existierenden Lenin-Denkmal ein Interview. 26 Jahre nach der friedlichen Revolution wird den Opfern des GULag noch immer das Andenken an den sowjetrussischen "Revolutionsführer" zugemutet.
- Teilnehmer am Jahrestreffen der Lagergemeinschaft Workuta/GULag Sowjetunion.
Vorne: Sebastian Schröder, Martin Hoffmann, Edda Ahrberg (v.l.n.r.).
Zwei kurze Filmbeiträge informierten über die Heimkehr von Anita Wille aus dem Straflager und über die Zeitreise von Roland Bude von Rostock nach Workuta. In gewohnt souveräner Art trug Stefan Krikowski über seine verdienstvollen biografischen Arbeiten vor. Zu den bisherigen Biografien deutscher GULag-Häftlingen in Workuta sind weitere drei weitere dazu gekommen, so auch die von Dr. Horst Hennig, dessen Autobiografie unter dem Titel "Erinnern statt Verdrängen" soeben im Leipziger Universitätsverlag erschienen ist. Das sind Beispiele für effektive Öffentlichkeitsarbeit im Sinne der Lagergemeinschaft, die in ihrer Außenwirkung kaum überschätzt werden können, abgesehen von den neuen Erkenntnissen und der Bereicherung der Geschichtswissenschaft.
Der zweite Tag verlief weniger harmonisch, sondern vielmehr produktiv kontrovers. Prof. Andreas Hilger trug über Lenin vor mit Überlegungen, wie die historische Persönlichkeit zu behandeln ist und wie man mit der Erinnerungskultur umgehen kann. Abwägend versuchte er zwischen Anspruch und Wirklichkeit die Gestalt Lenins in einer Grauzone zu platzieren. So kam es nicht überraschend, dass er für die Erhaltung des Lenin-Denkmals eintrat. Dr. Jörg Morré, Direktor des Deutsch-russischen Museums in Berlin-Karlshorst verstärkte diesen Trend. Dagegen sprach Horst Schüler im Namen der Anwesenden und erinnerte an die Verbrechen Lenins, die in einer Linie mit Stalin stehen. Offenbar standen sich akademische Überlegungen und jahrzehntelange politische Erfahrungen von ehemaligen Häftlingen gegenüber.
- Protestaktion.
Hans-Jürgen Jennerjahn, 86 Jahre alt, gebürtiger Schweriner, berichtete in freier Rede über seine Verhaftung, die Verurteilung zu 25 Jahren Lagerhaft und den Weg nach Workuta, wo er an eine Rückkehr nicht glaubte. Vor diesen emotional aufwühlenden Worten, beschrieb Stefan Krikowski bewusst anklagend, Lenin entlarvend als Tscheka-Begründer und Erbauer der ersten bolschewistischen Konzentrationslager für Andersdenkende. "Dieses Denkmal", so sein Fazit, "ist ein Schlag ins Gesicht für alle Opfer des Kommunismus."
- Hans-Jürgen Jennerjahn.
Wie kann die Arbeitsgemeinschaft weiter bestehen? Dazu gab es Vorschläge und Einigkeit, dass die zweite Generation das Erbe antreten sollte. Auf dem nächsten Treffen der Lagergemeinschaft in Berlin oder Potsdam werden dazu, ganz im Sinne des Vorsitzenden Horst Schüler, die entsprechenden Vorschläge verabschiedet.
Zum Abschluss besuchten die Teilnehmer das Dokumentationszentrum des Landes für die Opfer der Diktaturen in Deutschland am traditionsreichen Demmlerplatz den historischen Gerichtssaal, in dem das ehemalige Sowjetische Militärtribunal seine "Urteile" fällte.
- Gedenken vor dem Landgericht am Schweriner Demmlerplatz,
von 1945 bis 1953 Sitz des zentralen Sowjetischen Militärtribunals (SMT)
für ganz Mecklenburg-Vorpommern.
- Dietrich Schopen, Gerhard Popp, Hans-Jürgen Jennerjahn, Roland Bude (v.l.n.r.)
im Schwurgerichtssaal des Schweriner Landgerichts am Demmlerplatz -
dem Ort ihrer Verurteilung durch das SMT.
- Nach Monate langen Verhören wird Roland Bude am 31. Oktober 1950
am Demmlerplatz durch ein SMT zu 2x25 Jahren Zwangsarbeit in Workuta verurteilt.
Nach 66 Jahren betritt Roland Bude eine der Zellen des damaligen sowjetischen
Untersuchungsgefängnisses.
----------------------------------------------------------------------------------------------------
Gulag-Häftlinge: Die Erinnerung weitergeben.
Ein Bericht des NDR (Nordmagazin - 04.06.2016).https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/nordmagazin/Gulag-Haeftlinge-Die-Erinnerung-weitergeben,nordmagazin36026.html ...schließen
Eintrag vom 4.5.2016 NEUE BIOGRAFIE
Die Biografie von Horst Hennig wurde am 4. Mai 2016 auf www.workuta.de veröffentlicht.
Eintrag vom 3.5.2016 EHEMALIGE GULAG-HÄFTLINGE DEMONSTRIEREN AM 4.6.2016 VOR DEM LENIN-DENKMAL IN SCHWERIN
Jahrestagung
Vom 3. bis 5. Juni 2016 findet die Jahrestagung der Lagergemeinschaft Workuta/GULag Sowjetunion unter dem Motto "Erlebt-Erinnern-Vermitteln" in Schwerin statt. Am Samstag, den 4. Juni, um 14:30 Uhr werden die ehemaligen Gulag-Häftlinge ihren Protest gegen das Lenin-Denkmal zum Ausdruck bringen.
Die Jahrestagung findet in Kooperation mit der Landesbeauftragten für Mecklenburg-Vorpommern für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR und mit Unterstützung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur statt. Das vollständige Programm finden Sie hier.
Veranstaltungsort:Amedia Plaza Hotel
Bleicher Ufer 23
19053 Schwerin
Telefon +49 (0)385 5755-0
Telefax +49 (0)385 5755-777
schwerin@amediahotels.com
http://amediahotels.com/hotels/schwerin.html ...schließen
Eintrag vom 14.4.2016 HANSGEORG WAGNER IST TOT
Hansgeorg Wagner verstarb 1. April 2016 im Alter von 90 Jahren in Nürnberg
Ein Nachruf von Werner Gumpel
Wieder ist einer der besonders liebenswerten Workuta-Kameraden von uns gegangen: Hansgeorg Wagner, der zuletzt in Feucht bei Nürnberg gelebt hat, ist am 1. April 2016 nach langer Krankheit verstorben. Tapfer hat er jahrelang versucht gegen die mit seinem Leiden verbundene Atemnot anzukämpfen, hat aber am Ende doch diesen Kampf verloren. Immerhin: Trotz seines oft schweren Lebens hat er das 91. Lebensjahr erreicht und damit bewiesen, dass er zu kämpfen versteht: Er verlor seine ostpreußische Heimat, er überstand zwei Jahre Kriegsgefangenschaft bei den Amerikanern.
Hansgeorg Wagner hat sich tapfer durch die Zeit der Gefangenschaft geschlagen und sich stets als guter Kamerad bewährt. Trotz der vielen negativen Erfahrungen, die er schon frühzeitig in seinem Leben machen musste, ist er Optimist geblieben. In der Freiheit hat er den Kontakt zu vielen seiner ehemaligen Kameraden aufrechterhalten, die es stets geschätzt haben, mit ihm zusammenzutreffen. Die ihn gekannt haben, werden ihn in angenehmer Erinnerung behalten.
...schließenEintrag vom 2.4.2016 EBERHARD POLTHIER IST TOT
Eberhard Polthier verstarb am Karfreitag, dem 25. März 2016, im Alter von 86 Jahren in Nienburg.
Ein Nachruf von Stefan Krikowski
Nun begann seine Leidens-Odyssee. Durch ein Moskauer Fernurteil wurde er zu zehn Jahren Arbeitsbesserungslager verurteilt. Er musste über acht Jahre in unzähligen verschiedenen sowjetischen Arbeitslagern im Polargebiet um Workuta und in der Petschora-Region schuften.
Nach seiner Entlassung im Oktober 1955 ging er nach Westdeutschland und studierte in Göttingen Rechtswissenschaften, wo er auch später als Bibliothekar an der Universität arbeitete.
- Foto: Eberhard Polthier auf dem Workutanertreffen in Karlsruhe, Juni 2014.
Erst spät – es muss gegen Ende der 1990er-Jahre gewesen sein – besuchte er regelmäßig die Treffen der Lagergemeinschaft ehemaliger Workutaner. Bei unseren zahlreichen Begegnungen lauschten wir staunend den Berichten über seine Erlebnisse und Erfahrungen in den Lagern, die er mit unterschwelligem Humor vortrug. Der ruhige und zurückhaltende Zeitzeuge erzählte immer wieder die Geschichte seiner goldenen Taschenuhr - wohl ein Sinnbild über das Wunder der wiedergewonnenen Lebenszeit in Freiheit:
Ein Zettel und eine Uhr aus gelbem Metall
"Nach der Entführung aus West-Berlin am 26. Mai 1947 und die darauf erfolgte Übergabe an und Verhaftung durch die sowjetischen Sicherheitsbehörden in Kyritz wurden alle mitgeführten Gegenstände beschlagnahmt. Dabei handelte es sich um eine Geldbörse, ein Taschenmesser, einen Gürtel, einen Personalausweis, Fotos, ein Schulzeugnis und eine goldene Taschenuhr mit Schlüssel, die ich meinem Vater nach dem Einmarsch der russischen Truppen entwendet hatte.
Ein Wachmann gab mir einen alten Militärmantel, und nach drei Tagen in einem dunklen Kellerloch hieß es: Transport in eine NKWD-Dienststelle in der Luckenberger Straße in der Stadt Brandenburg. Die nächsten fünf Monate waren ausgefüllt mit nächtlichen Verhören. Die Vorwürfe waren: Werwolf, Spionage, Sabotage u.a. Dass meine Weigerung, für den sowjetischen Geheimdienst zu arbeiten, strafrechtlich relevant sein könnte, war mir nicht bewusst gewesen. Die Hoffnung, als kleiner unbedeutender Schuljunge wieder entlassen zu werden, war jedoch trügerisch und zerschlug sich, als mir die Haare kahl geschoren wurden. Nach sieben Monaten in dem feuchten Keller mit einer vier Meter langen Holzpritsche, zeitweise mit Mitgefangenen, und einer Milchkanne, wie sie bei Landwirten üblich ist, als Toilette, wurde mir am 15. Dezember 1947 gesagt, dass ich in Moskau zu einer Strafe von zehn Jahren verurteilt worden sei. Ein Papier mit dem Urteilsspruch ist nie ausgehändigt worden.
Anfang Februar 1948 wurden wir, etwa 30 Deutsche, in einen Güterwagen, einem großen Zug mit ehemals russischen Kriegsgefangenen, zugeladen. Der Zug wurde oben mit Maschinengewehren und an den Haltestellen von unten bewacht. Die Sicherung fand statt, nicht nur um Fluchtversuche zu vereiteln, sondern auch aus Angst vor polnischen Überfällen.
In der Grenzstadt Brest-Litowsk bei einer Großkontrolle mit Identitätsprüfung, Fingerabdruck und Frage nach dem Eigentumsrecht an der Taschenuhr wurde mir eine Quittung gegeben, die besagte, dass ich nach Verbüßung der Strafe die Uhr 'aus gelbem Metall' zurückbekommen würde. Da aber keiner von uns außer leeren Taschen die Möglichkeit zur Aufbewahrung für einen langen Zeitraum von zehn Jahren besaß, war auch die Existenz dieses einfachen Zettels nur von kurzer Dauer. Sei es, dass jemand für erbettelten Tabak Papier für eine Zigarette erbat oder aus anderen Gründen.
Acht Jahre später, nach Aufenthalten in kaum zählbaren Lagern im äußersten Norden Russlands, kein Brief, kein Radio, keine Zeitung, jenseits des Polarkreises um Workuta und Petschora, kam ich mit dem polnischen Juden Leo Levitan in das Durchgangslager Solikamsk und später nach Potma. Da wir wieder einmal freigelassen werden sollten, forderte Levitan seinen, ihm bei der Inhaftierung abgenommenen, umfangreichen Schmuck und erhielt ihn. Daraufhin erinnerte ich mich an meine Uhr und forderte ebenfalls die Rückgabe. Doch es gab Schwierigkeiten. Verlangt wurde der nicht mehr vorhandene Zettel. Nach einigem Hin und Her bekam ich die Uhr 'aus gelbem Metall'. Äußerlich waren keine Schäden erkennbar und der für das Uhrwerk erforderliche Schlüssel war mit einem Bindfaden am Öhr der Uhr befestigt. Voller Ungeduld entknotete ich die Schnur und versuchte das Wunderwerk aus seinem jahrelangen Schlaf zu erwecken. Alle Aufregung war entbehrlich. Die Uhr begann zu ticken und so tickt sie auch heute noch, wenn sie aufgezogen ist."
...schließenEintrag vom 8.3.2016 BUCHPRÄSENTATION
Die Übersetzerin Vytenė Muschick stellte am 8. März 2016 in der Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus e.V., Nikolaiplatz 5-7, Berlin-Mitte die Aufzeichnungen der Litauerin Dalia Grinkevičiūtė (1927-1987) aus dem Jahr 1949 vor, die unter dem Titel "Aber der Himmel − grandios" neu erschienen ist. Die lose Blattsammlung ist zu einem der wichtigsten Dokumente der litauischen Geschichte geworden und zeigt mit ungeheurer Sprachgewalt das Schicksal eines 14-jährigen Mädchens in der sowjetischen Verbannung auf.
Nach der Annektion Litauens 1941 wird die 14-jährige Dalia Grinkevičiūtė zusammen mit ihrer Mutter und ihrem Bruder von den Sowjets nach Sibirien, an die Lenamündung, weit nördlich des Polarkreises, deportiert. Ihre Jugendjahre verbringt sie in der Verbannung im Altai Gebiet und in der Arktis. 21-jährig gelingt Grinkevičiūtė die Flucht. Zurück in Litauen schreibt sie ihre Erinnerungen an die Verbannung in großer Eile auf lose Blätter und vergräbt sie aus Angst vor der Entdeckung durch den KGB in einem Einweckglas im Garten. Kurz darauf wird sie vom KGB verhaftet und erneut deportiert. Nach ihrer Entlassung im Jahr 1956 bleiben die Erinnerungen verschollen, erst nach Dalia Grinkevičiūtės Tod werden die Aufzeichnungen wie durch ein Wunder 1991 gefunden.
Dalia Grinkevičiūtė
Aber der Himmel − grandios
Matthes & Seitz Berlin
Dritte Auflage 2015
ISBN 978-3-88221-387-4
Hardcover, 206 Seiten, 19,90€
http://www.matthes-seitz-berlin.de/buch/aber-der-himmel-grandios.html
...schließen
Eintrag vom 5.3.2016 (Stalins Todestag) GRUBENUNGLÜCK IN WORKUTA
Beim schwersten russischen Grubenunglück seit Jahren starben 30 Kumpel und 6 Rettungskräfte in Workuta. Das Unglück ereignete sich am 25. Februar 2016. Ehemalige deutsche politische Häftlinge, "Bergleute" von "WORKUTLAG" und "RETSCHLAG" schickten ein Kondolenzschreiben an den Bürgermeister der Stadt Workuta. Die Unterzeichner kamen nach Stalins Tod am 5. März 1953 dank der Hilfe des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer Ende 1955 frei.
Уважаемые, дорогие близкие, друзья, и коллеги жертв аварии - и все опечалённые воркутинцы -
мы, ниже подписавшие бывшие немецкие политзаключённые , „шахтёры“ „воркутлага" и „речлага“ в сороковых и пятидесятых годах, сочувствуем и сожалеем с жертвами аварией, произшедшей на шахте «Северная», - нашей знаменитой „забастовочной шахтой Но. 29 1953го года!
Мы ещё хорошо вспомним и не забудем подобных случаев, произшедщих и тогда почти во всех шахтах!
Но заверяем вас: не падайте духом! Держитесь!
Geehrte, liebe Angehörige, Freunde und Kollegen der Opfer des Unglücks - und alle trauernden Workutaner -
Wir unterzeichneten ehemaligen deutschen Polithäftlinge, "Bergleute" von "WORKUTLAG" und "RETSCHLAG" in den vierziger und fünfziger Jahren leiden mit und bedauern die Opfer der Havarie, die in der "Nordgrube" geschah - unserem berühmten "Streikschacht" Nr. 29 des Jahres 1953!
Wir erinnern uns noch gut und vergessen die vergleichbaren Fälle nicht, die damals in fast allen Gruben vorfielen!
Aber wir versichern euch: Lasst den Mut nicht sinken! Bleibt aufrecht!
Dr. med. Gerald Joram, Gummersbach
Theodor Desens, Gummersbach
Prof. em. Dr., Dr. hc. Werner Gumpel, Gilching
Horst Schüler, Hamburg
Horst Wöhe, Hamburg
Generalarzt a. D. Dr. Horst Hennig, Köln
Roland Bude, Swisttal
Prof. Dr. Siegfried Jenkner, Hannover
Heini Fritsche, Bonn
Dr. med. Kurt Zinke
Ernst E. Wirth, Köln
Dr. Peter Eberle, CH Linthal
Dr. Peer H. Lange, Thaining
Hans Sohn, Stuttgart
Weitere Informationen zum Grubenunglück
http://www.faz.net/aktuell/politik/russland-36-bergleute-sterben-bei-grubenunglueck-14095394.html
- Schacht Sewernaja.
...schließen
Eintrag vom 26.1.2016 NEUE BIOGRAFIE
Die Biografie von Günter Albrecht wurde am 26. Januar 2016 auf www.workuta.de veröffentlicht.