Aktuelles
Eintrag vom 21.12.2017 ARSENIJ ROGINSKIJ IST TOT
Zum Tode von Arsenij Roginskij (1946-2017)
Arsenij Roginskij wurde am 30. März 1946 in Welsk, Gebiet Archangelsk, UdSSR, geboren. Er verstarb am 18. Dezember 2017 im Alter von 71 Jahren in Herzliya bei Tel Aviv, Israel. Arsenij Roginskij hat 1989 die Menschenrechtsorganisation "Memorial" mitbegründet, für die er fortan arbeitete, lebte und deren Vorsitz er inne hatte.
Ein Nachruf von Memorial Deutschland e.V.
Arsenij Roginskij hat sein Leben vor allem der Erforschung und Klärung der Verfolgung unter dem sowjetischen Regime gewidmet – und dies bereits zu einer Zeit, zu der die Sowjetunion noch nicht der Vergangenheit angehörte. Dafür hat er in den achtziger Jahren mit vier Jahren Lagerhaft bezahlt.
Er war sich dieser Gefahr bewusst und wollte eine Verhaftung möglichst vermeiden, allerdings nicht um jeden Preis – auch nicht um den Preis einer Emigration, die man ihm ausdrücklich nahe legte. Zu einer Zeit, als für fast alle Juden eine Ausreise aus der UdSSR völlig unmöglich war, forderte man Roginskij ausdrücklich auf, einen entsprechenden Antrag zu stellen, da seine Verwandten in Israel sich angeblich deshalb an die Behörden gewandt hätten. Dass er dort gar keine Verwandten hatte, stellte dabei kein Hindernis dar. Er lehnte ab.
1981 wurde ihm unterstellt, sich widerrechtlich Zugang zu gesperrten Archivunterlagen verschafft zu haben. Er wurde zu vier Jahren Haft verurteilt, die er nicht mit politischen Gefangenen, sondern in einem Lager für Kriminelle verbüßen musste, weil das angebliche Vergehen nicht mit einem "politischen" Artikel geahndet wurde. Er musste seine Haftzeit voll absitzen. 1992 wurde er rehabilitiert.
- Arsenij Roginskij Foto: Thomasz Kizny
An dem "Rehabilitierungsgesetz" von 1991, das kurz nach dem Ende der Sowjetunion erlassen wurde, hatte er als Berater wesentlichen Anteil. Mit anderen Mitstreitern von Memorial versuchte er, auf die neue Archivgesetzgebung im Sinne einer Liberalisierung und Freigabe einschlägiger Dokumente einzuwirken – leider ohne nachhaltigen Erfolg. In den letzten Jahren gehörte er der Jury an, die über das jüngst in Moskau geplante und inzwischen aufgestellte Denkmal für die Opfer des sowjetischen Terrors zu entscheiden hatte.
Seine Tätigkeit hatte viele Berührungspunkte mit der Geschichtsaufarbeitung in Deutschland. Er war maßgeblich an Projekten beteiligt, die die deutsche Geschichte nicht weniger betrafen als die sowjetische. Erwähnt seien hier nur die Projekte über die nach Deutschland verschleppten Sowjetbürger ("Ostarbeiter") sowie die Herausgabe des Bandes "Erschossen in Moskau", in dem Namen und Kurzbiographien von Personen dokumentiert sind, die zwischen 1949 und 1953 aus der SBZ/DDR in die Sowjetunion verschleppt und hingerichtet wurden. Nicht zuletzt für diese Verdienste wurde ihm 2010 das Bundesverdienstkreuz verliehen.
Besonders hervorzuheben ist hier seine Verbundenheit und Zusammenarbeit mit MEMORIAL Deutschland e.V. seit Gründung des Vereins im Jahre 1993. Viele unserer gemeinsamen Projekte mit russischen Memorial-Verbänden gingen auf seine Initiative und Anregungen zurück oder er begleitete sie mit Ratschlägen. Das gilt für alle, die sich mit Aufarbeitung befassten (GULAG-CD und Webportal, NKWD-Projekt, Carola-Neher-Projekte, um hier nur einige zu nennen).
Mit Arsenij Roginskij verband uns aber nicht nur die ernsthafte und – durch das Thema bedingt – wenig heitere Projektarbeit. Wir haben – oft am Rande von Veranstaltungen oder Mitgliederversammlungen – mit ihm viele heitere Stunden verlebt. Er war kein Freund von Traurigkeit und verstand es, auch über tragische Ereignisse der Vergangenheit, vor allem aber auch über unerfreuliche und entmutigende Tendenzen der Gegenwart mit Gelassenheit, mitunter sogar heiter und mit Humor zu sprechen.
Arsenij Roginskijs Tod reißt eine Lücke nicht nur in die Reihen von Memorial, die sich nicht füllen lässt. Wir gedenken seiner und geben die Hoffnung nicht auf, dass seine wesentlichen Anliegen im Laufe der Zeit in Russland doch noch erfüllt werden.
Memorial Deutschland e.V., 20. Dezember 2017
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Eintrag vom 25.11.2017 GEDENKTAFEL PFARRER GNETTNER
Geschichte des Pfarrers Gnettner korrigiert. Zweite Bronzetafel am Pfarrhaus in Eisenhüttenstadt-Fürstenberg enthüllt.
Wie es dazu kam, berichtet Stefan Krikowski.
Es fing alles an mit einer schönen Radtour mit meiner Ehefrau durch das Schlaubetal. Nach dem Workutaner-Treffen, das vom 3.-5. Juni 2016 in Schwerin stattfand und bei dem die Workutaner im Stadtteil Großer Dreesch gegen das noch immer dort stehende Lenin-Denkmal demonstrierten, wollten wir uns ein wenig ablenken und erholen in der schönen brandenburgischen Natur unweit Berlins. Die Radtour beendeten wir mit einer Übernachtung in Fürstenberg, dem schönen an der Oder gelegenen Ortsteil von Eisenhüttenstadt. Mächtig thront dort die Nicolaikirche über dem malerischen Ortskern. Am alten Pfarrhaus entdeckten wir eine Gedenktafel für den Pfarrer Reinhard Gnettner: "Am 26. Juni 1897 in Görlitz geboren. Ab 20. Februar 1946 Pfarrer in Fürstenberg/Oder. Am 6. August 1950 verhaftet. Am 4. April 1951 zum Tode verurteilt. Zu langer Haftstrafe begnadigt und in die Sowjetunion deportiert. Dort verlieren sich seine Spuren im Dunkel der Geschichte."
Ich stutzte. Mir war der Name geläufig, aber sollte er einer der wenigen sein, die tatsächlich von den Russen begnadigt wurde? Zurück in Berlin, schlug ich sofort bei "Erschossen in Moskau" nach. Nein, Pfarrer Gnettner wurde nicht begnadigt, sondern am 27. Juni 1951, einen Tag nach seinem 54. Geburtstag, in Moskau hingerichtet.
In einem ersten Telefonat mit dem jetzigen Pfarrer der Nicolaikirche, Wolfgang Krautmacher, wurde die Geschichte dieser Tafel, die seit 1994 zum Andenken an den Gemeindepfarrer dort hängt, geklärt. Aber es wurde auch schnell klar, dass eine Korrektur der Bronzegedenktafel ein langwieriges Unterfangen werden würde. Herr Krautmacher stellte zwar die Glaubwürdigkeit des Totenbuchs nicht direkt in Frage, aber so ganz ohne die Originalunterlagen mochte er nicht aktiv werden. Auch meine Rückversicherungen bei Herrn Drauschke, dem Historiker und Mitbegründer des Historischen Forschungsinstituts "Fact&Files" und Herausgeber des Totenbuches, halfen nicht weiter. Auch gab es erheblichen Dissens in Bezug auf den Text für die neue Tafel.
So habe ich Ende Juli 2016 brandenburgische Aufarbeitungsorganisationen eingeschaltet, die Herrn Krautmacher unterstützen sollten, einen geeigneten und historisch sachgerechten Text zu formulieren. Die Leiterin der Gedenkstätte Lindenstraße, in der Pfarrer Reinhard Gnettner in Haft saß, Frau Uta Gerlant, und Frau Ulrike Poppe, damalige Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur (LAkD), unterstützen dieses Projekt der Neugestaltung der Gedenktafel.
Anschließend machte ich mich auf der Suche nach Familienangehörigen und landete gleich beim ersten Anruf einen Treffer. Der Neffe verwies mich an seine Schwester, Frau Kerstin Gnettner, die sehr an der Aufarbeitung der Geschichte ihres Großvaters interessiert ist.
Dank der Unterstützung durch Herrn Popratz, Mitarbeiter bei der LAkD, und Frau Gerlant konnte nach fast anderthalb Jahren die ergänzende Gedenktafel für Pfarrer Gnettner am alten Pfarrhaus am Volkstrauertag, dem 19. November 2017 enthüllt werden.
- Uta Gerlant, Leiterin der Gedenkstätte Lindenstraße, Stefan Krikowski und Prof. Werner Sperling, Zeitzeuge, in der ersten Reihe (v.l.n.r.)
- Pfarrer Wolfgang Krautmacher und Kerstin Gnettner.
Bewegend war ebenfalls, dass die Enkelin Kerstin Gnettner angereist war und mit beeindruckenden Worten ihres Großvaters gedachte.
Als einer der Redner bei der Enthüllung verwies ich auf die größere Dimension der kommunistischen Verbrechen hin. Pfarrer Gnettner war kein Einzelfall, denn er wurde als Mitglied der „Schubert-Gruppe“ verhaftet. Diese sogenannte Schubert-Gruppe aus Guben umfasste insgesamt 21 Personen, Kameraden und Gleichgesinnte, die die Verhältnisse und Entwicklungen in der DDR kritisierten. Elf Personen der Gruppe wurden von einem SMT in Potsdam am 4. April 1951 zum Tode verurteilt. Neben Pfarrer Gnettner waren das:
Das Ehepaar Anna und Gerhard Schubert* aus Guben und ihr Sohn Wolfgang. Paul Heymann, das Ehepaar Erna und Herbert Laenger, Wolfgang Mertens, Günther Murek, Erich Schulz und Otto Stichling.
Die anderen zehn Gefangenen wurden zu hohen Haftstrafen verurteilt. Alle wurden in die SU deportiert.
Die Gnadengesuche der 11 zum Tode Verurteilten wurden vom Präsidenten des Obersten Sowjets am 22. Juni 1951 abgelehnt, die Todesurteile wurden am 27. Juni 1951 im Moskauer Butyrka-Gefängnis vollstreckt. Anschließend wurden die Leichen verbrannt und anonym auf dem Moskauer Friedhof Donskoje verscharrt.
Über den Tod hinaus zeigt die menschenverachtende kommunistische Diktatur ihr brutales Gesicht, indem ein Grab als letzte Ehrerbietung verweigert wurde.
Mit dieser Grablosigkeit und Ungewissheit um das Schicksal von Reinhard Gnettner mussten die Angehörigen Jahrzehnte leben.
An diesem Volkstrauertag 2017 fand eine zweite späte Ehrung und Würdigung des Pfarrers und Märtyrers Reinhard Gnettner statt. Endlich wird sein Schicksal historisch korrekt wiedergegeben.
*Die Tochter Brigitte-Anna-Johanna Schubert (Jg. 1932) wurde zu 25 Jahren verurteil und nach Workuta deportiert. Sie wurde im Oktober 1955 entlassen und reiste umgehend in die BRD aus.
Stefan Krikowski, Sprecher der Lagergemeinschaft Workuta / GULag Sowjetunion
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Eintrag vom 8.10.2017 BERICHT VOM 23. HALLE-FORUM
Das 23. Halle-Forum fand in diesem Jahr vom 25.-26. Oktober 2017 statt.
Ein Bericht von Prof. Dr. Gerald Wiemers.
Der Widerstand gegen das kommunistische Regime in der SBZ/DDR wird in vielfältigen Formen reflektiert, aber nur selten findet er in festen, wiederkehrenden Veranstaltungen seinen Platz. Ein Beispiel dafür sind die seit 1996 organisierten Belter-Dialoge an der Universität Leipzig, organisiert durch die Konrad-Adenauer-Stiftung. Bereits seit 1994 finden die Halle-Foren in der Gedenkstätte "Roter Ochse" als Kooperationsveranstaltung u.a. durch die Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen-Anhalt statt. Das diesjährige 23. Halle-Forum am 25. und 26. Oktober 2017 stand unter dem Leitthema "Vom 'Roten Ochsen' nach Mühlberg (Elbe), Haft in den sowjetischen Speziallagern in der SBZ/DDR". Nach einer Führung durch die Sonderausstellung "Der Seele Freiheit" in der Gedenkstätte "Roter Ochse" fand die Veranstaltung erstmalig in einer Schule, dem Elisabeth-Gymnasium, statt. Vor rund 150 Teilnehmern, darunter ehemalige politische Häftlinge im "Roten Ochsen", wie Dr. Horst Hennig, zahlreichen Schülern und Lehrern, sprachen eindringliche Grußworte der Schulleiter Hans-Michael Mingenbach, Bürgermeister Egbert Geier, Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch und Dr. Kai Langer, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt. In das Thema führte Birgit Neumann-Becker, Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur ein. Was viele der ehemaligen politischen Häftlinge erduldet haben, fasste sie für die Zukunft in Worte: "Die Kinder und Kindeskinder sollen gewarnt werden, damit sie die Demokratie und den Rechtsstaat schätzen, die Freiheit lieben und verhindern, dass Menschen in Lager gesperrt werden, Zwangsarbeit verrichten müssen und vor Angst, Hunger, Kälte oder an unbehandelten Krankheiten zugrunde gehen und sterben müssen, wie es vielen Kameraden unserer Zeitzeugen ergangen ist."
In seinem halbstündigen Vortrag erläuterte Dr. Daniel Bohse (Magdeburg) das System der Speziallager in der SBZ und nannte zahlreiche Internierungsorte in dem heutigen Land Sachsen-Anhalt. Der Transport der Häftlinge erfolgte in Viehwaggons. Die Lager in Mühlberg und Torgau waren überbelegt. Die hohe Sterberate 1946/47 ist auch dem damaligen Hungerwinter geschuldet. Über 30% der 120.000 Häftlinge überlebten den Aufenthalt in den Speziallagern nicht.
Für die jungen Zuhörer waren die anschließenden Erfahrungen aus der Arbeit der Lagergemeinschaften besonders eindrucksvoll. So sprach Pfarrer Matthias Taatz über das sowjetische Speziallager Nr. 1 bei Mühlberg, der ehemalige politische Häftling Heinz Galle über das sowjetische Speziallager Nr. 8 in Torgau und Alexander Latotzky über das sowjetische Speziallager Nr.4 in Bautzen, in dem er als Kind hinter Stacheldraht 1948 geboren wurde. Der erste Tag klang aus mit Zeitzeugengesprächen und einem kurzen Besuch von Ministerpräsident Dr. Rainer Hasseloff. Die Schüler waren aufgerufen: "Fragt heute".
Der zweite Tag stand unter dem Motto "Aus der Praxis: Vor dem Vergessen bewahren!" Tradiertes Wissen gilt es möglichst schriftlich oder auf Tonträgern zu bewahren, Informationen zu sammeln und Gespräche der Zeitzeugen aufzunehmen. Dr. Oskar Schmidt berichtete über das kommunistische Unrecht in der Stadt Zeitz und Dr. Saskia Paul von der Bürgerbewegung Leipzig stellte die Sammlung des Vereins vor. Ralf Jacob (Halle), Vorsitzender des Verbandes der deutschen Archivarinnen und Archivare, gab konservatorische Anregungen, wie man Dokumente, Briefe oder Kassiber sicher schützt und archivgerecht aufbewahrt.
Der Gang in die Schule ist ein erster großer Schritt, die junge Generation über den Widerstand gegen kommunistische Diktaturen zu informieren und dafür sensibel zu machen. Notwendig ist aber auch, dass die Lagergeschehnisse, der GULag, in die Lehrpläne der Schulen, in die Geschichtsbücher, aufgenommen wird. Bisher wird lediglich über den Lageralltag in einem Geschichtsbuch des Landes Sachsen darüber berichtet. Die Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen-Anhalt wird sich dieser Problematik annehmen.
Die "Mitteldeutsche Zeitung" hat am Tag der Eröffnung des Halle-Forums, Pfarrer Matthias Taatz und Dr. André Gursky, den langjährigen, verdienstvollen Leiter der Gedenkstätte „Roter Ochse“ zitiert, in einem ganzseitigen Artikel über „Das Lager der Vergessenen“ in Mühlberg und auf die Veranstaltung selbst aufmerksam gemacht. Das ist heute leider nicht mehr selbstverständlich.
...schließenEintrag vom 26.8.2017 REISEBERICHT
Solovki. Die Anfänge des sowjetischen GULag im Weißen Meer.
Ein Bericht von Edda Ahrberg über die Studienreise der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur im August 2017 nach Russland.
Der von den Solovki (Solowetzki)-Inseln stammende Gedenkstein erinnert in St. Petersburg, wie auch in anderen Städten, an die Millionen Todesopfer kommunistischer Gewaltherrschaft in der Sowjetunion. 2017 jähren sich die Oktoberrevolution zum 100. und der Beginn des Großen Terrors 1937/38 unter der Herrschaft Josef Stalins zum 80. Mal. Diese Ereignisse bildeten den Anlass für die diesjährige Studienreise der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die vom 2. bis 10. August 2017 nach Russland führte. Mitarbeiter von Gedenkstätten und Aufarbeitungsinitiativen, Wissenschaftler und Journalisten wollten sich zwischen St. Petersburg und den Solovki-Inseln im Weißen Meer über den Umgang mit der Repressionsgeschichte informieren. Seit vielen Jahren unterstützen Anne Drescher (Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen in Mecklenburg-Vorpom-mern) und ich (Vertreterin der Lagergemeinschaft im Gedenkstättenbeirat Sachsen-Anhalts für die Zeit von 1945 bis 1989) die Lagergemeinschaft Workuta/GULag Sowjetunion. Wir haben uns sehr gefreut, an der Reise teilnehmen zu können.
Den Bericht als PDF-Datei über folgenden Link öffnen:
E. Ahrberg, Bericht über die Studienreise nach Russland
Eintrag vom 21.6.2017 URSULA RUMIN IST TOT
Ursula Rumin ist am 15. Juni 2017 im Alter von 93 Jahren in Köln verstorben.
Ein Nachruf von Gerd Laudert
Geboren 1923 in Niederschlesien, 1946 aus ihrer Heimat vertrieben, war Ursula Rumin, nach einer kurzen Karriere als Tänzerin, seit Anfang 1950 als (Film-) Journalistin in West- und Ostberlin tätig. Im September 1952 wurde sie im Zusammenhang mit ihrer Drehbuch-Arbeit bei der DEFA und (u.a.) infolge einer Denunziation vom russischen Geheimdienst verhaftet. Nach Folterverhören im Kellergefängnis von Berlin-Karlshorst wurde sie aufgrund eines im Dezember ausgesprochenen SMT-Urteils wegen angeblicher Spionage und "konspirativer Zusammenarbeit mit dem Feind" zu 15 Jahren Zwangsarbeit nach Workuta deportiert.
Anders als die meisten Workuta-Häftlinge hatte Ursula Rumin das Glück, aufgrund einer Amnestie (im Vorfeld der Verhandlungen Adenauers in Moskau) bereits im Dezember 1953 aus dem Lager, wo sie acht leidvolle Monate - im "Roten Ofen" der Ziegelei, auf dem Holzplatz, beim Eisenbahnbau - verbracht hatte, nach Hause zurückkehren zu können.
- Ursula Rumin, März 2016. Foto: Gerd Laudert.
Ursula Rumin siedelte nach dem Mauerbau 1961 von Westberlin nach Köln über, wo sie zunächst beim WDR und dann, bis zu ihrem Ruhestand, sehr erfolgreich als Redakteurin im Fernsehbereich der Deutschen Welle beschäftigt war. Für ihre engagierte Arbeit im Ressort "Frauen und Familie" erhielt sie 1983 den Bundesverdienstorden.
Ab Ende der 1990er Jahre machte Ursula Rumin es sich zur Aufgabe, in mehreren Büchern als Zeitzeugin über ihre wechselvolle Lebensgeschichte - dabei insbesondere über ihr Haft- und Lagerschicksal und das anderer Frauen - zu schreiben und aufzuklären. 2005 erschien ihr Buch "Im Frauen-GULag am Eismeer", basierend auf einem bereits in den späten 1950er Jahren verfassten Manuskript. Im Jahr zuvor war die bereits über 80-jährige Autorin mit einem Filmteam noch einmal nach Workuta gereist, um als Zeit- und Augenzeugin an einem Dokumentarfilm mitzuwirken.
2010 veröffentlichte Ursula Rumin unter dem Titel "Die Hölle um uns" ein ursprünglich als Filmdrehbuch konzipiertes und nun zu einem "dokumentarischen Roman" umgeschriebenes Buch über den Streik in Workuta.
Ursula Rumin hat in zahlreichen Veröffentlichungen - insbesondere in ihrem 2005 im Herbig Verlag erschienenen Buch - wichtige Aspekte der Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts dokumentiert, vor allem im Blick auf die Situation von Frauen. Ihr eigener, bewusst offensiver Umgang mit belastenden Lebenserfahrungen vermag ähnlich Betroffenen Mut zu machen. Nicht zuletzt ist zu würdigen, dass Ursula Rumin sich bereits unmittelbar nach ihrer Rückkehr aus dem Lager vielfach "im Stillen" für noch in Haft befindliche Leidensgefährtinnen engagierte: so etwa als Ansprechpartnerin und Kontaktperson für das Rote Kreuz und als hilfreiche Freundin Erica Wallachs, mit der sie bis zu deren Tod (1993) freundschaftlich verbunden blieb.
...schließenEintrag vom 19.6.2017 NEUER SPRECHER GEWÄHLT
Während des diesjährigen Jahrestreffens der Lagergemeinschaft vom 8.-10. Juni 2017 in Berlin, hat der ehemalige Vorsitzender der UOKG und langjährige Sprecher der Lagergemeinschaft, Horst Schüler, aus gesundheitlichen und altersbedingten Gründen das Amt des Sprechers niederlegt. Die Lagergemeinschaft hat daraufhin einstimmig Stefan Krikowski zu ihrem neuen Sprecher ernannt.
Hier folgt eine Vorstellung von Stefan Krikowski.
In den vergangenen Jahren wurde auf den Jahrestreffen der Lagergemeinschaft Workuta / GULag Sowjetunion wiederholt diskutiert und gerungen, wie die Zukunft dieser Lagergemeinschaft aussehen könnte, da der jüngste der noch lebenden Zeitzeugen mittlerweile 85 Jahre alt ist.
Während des diesjährigen Jahrestreffens der Lagergemeinschaft vom 8.-10. Juni 2017 in Berlin, hat der ehemalige Vorsitzender der UOKG und langjährige Sprecher der Lagergemeinschaft, Horst Schüler aus gesundheitlichen und altersbedingten Gründen das Amt des Sprechers niederlegt. Die Lagergemeinschaft hat daraufhin einstimmig mich, Stefan Krikowski, zu ihrem neuen Sprecher ernannt. Ich danke Horst Schüler und der gesamten Lagergemeinschaft für dieses Vertrauen.
Diese Entscheidung bedeutet eine Zäsur, da erstmals nicht Zeitzeugen selbst ihre Interessen vertreten. Die Aufgaben und Verantwortlichkeiten für das Wachhalten an ihren Leidensgeschichten werden in die Hände der 2. Generation gelegt.
Mein Vater, Johannes Krikowski, wurde als junger Student der ABF-Greifswald 1951 von der Staatssicherheit verhaftet und im März 1952 von einem Sowjetischen Militärtribunal wegen antisowjetischer Propaganda und illegaler Gruppenbildung (Art. 58-10 und 11 des StGB der RSFSR) zu 25 Jahren Arbeitsbesserungslager verurteilt. Von 1952 bis 1955 musste er Zwangsarbeit in Workuta verrichten. Im Dezember 1955 wurde mein Vater nach West-Berlin entlassen. Danach folgten Heirat, Familiengründung und - nach dem Mauerbau - Umzug ins Rheinland nach Düsseldorf.
Kindheit und Jugend verbrachte ich in Düsseldorf. Über meiner Kindheit – und ebenso der meiner Schwester - hing eine Dunstglocke, welche aus Lager, Haft und Gulag bestand. Die Zersetzungsmaßnahmen der Stasi und NKWD und die langjährige Lagerhaft hatten die Seele und den Körper meines Vaters ruiniert.
Anfang der 1980er Jahre zog ich nach Berlin, studierte Pädagogik und Sozialarbeit. Seit über 24 Jahren betreue ich Menschen mit geistiger Behinderung.Nach seiner Pensionierung habe ich meinen Vater ab Mitte der 1990er Jahre regelmäßig zu den Treffen der Lagergemeinschaft Workuta / GULag Sowjetunion begleitet. Die Begegnungen mit so vielen Schicksalsgefährten meines Vaters haben mich geprägt, ihre Geschichten über Widerstand, staatliche Willkür, Unrechtsurteile und Entbehrungen im fernen Gulag. Sie haben mich gelehrt, dass der demokratische Rechtsstaat und die Freiheit keine Selbstverständlichkeit sind und nicht hoch genug geschätzt werden können.
Diese Gulag-Überlebenden haben ein großes Sensorium für die Verletzlichkeit des demokratischen Rechtsstaates und besitzen ein Gespür für Gefahren durch radikale politische Kräfte – welcher Couleur auch immer – die den freiheitlichen Rechtsstaat bedrohen. Sie wissen um das hohe Gut der FREIHEIT, sie ist – wie gesagt - niemals selbstverständlich, und sie muss täglich verteidigt werden.
Erinnerung braucht Namen und Gesichter. Nur so können wir die ehemaligen Gulag-Häftlinge dem Vergessen entreißen und im nationalen Gedächtnis verorten. Eine meiner Aufgaben ist es, das Erbe dieser Zeitzeugen zu bewahren, welches das Unrecht des Kommunismus aufzeigt.
Ein erster Schritt war das Zeitzeugen-Portal www.workuta.de, welches 2013 freigeschaltet wurde. Mittlerweile sind 43 Biografien von Deutschen, die von Mai 1945 bis 1953 in der SBZ/DDR verhaftet und dort von einem sowjetischen Militärtribunal nach russischem Strafrecht (Art. 58) zu langjährigen Strafen im sowjetischen Gulag verurteilt wurden, veröffentlicht.
Ich danke Horst Schüler für seinen großen und verdienstvollen Einsatz für die Lagergemeinschaft.
Ich bin dankbar, dass Frau Edda Ahrberg mit ihrem Fachwissen und organisatorischen Talent mir zu Seite stehen wird. Ebenso Frau Anne Drescher und weitere Mitstreiter der 2. Generation unterstützen mich, um die Arbeit der Lagergemeinschaft Workuta langfristig zu sichern und weiter fortzuführen.
Stefan Krikowski
Berlin, im Juni 2017
Eintrag vom 19.6.2017 BERICHT DER JAHRESTAGUNG
Vor 100 Jahren: Eine Revolution, die die Welt verändert
Dieses Thema stand im Mittelpunkt der Jahrestagung der Lagergemeinschaft Workuta / GULag Sowjetunion, die vom 8. bis 10. Juni 2017 in Berlin stattfand.
Ein Bericht von Prof. Dr. Gerald Wiemers
Gab es in Schwerin zur vorangegangenen Jahrestagung noch Zweifel über den Fortbestand der Lagergemeinschaft, so schienen diese jetzt ausgeräumt. Zahlreiche Grußworte und Fachvorträge bestimmten die Tagung ebenso zu Beginn, wie die Archiv-Führung in der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, wie auch zum Abschluss der Veranstaltung, wie der Besuch des ehemaligen NKWD-Kellers in der Prenzlauer Allee. Dort hat Frau Anna von Arnim-Rosenthal (Mitarbeiterin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur) die Teilnehmer sehr gut und informativ begleitet. "Wir haben die Gestecke und 30 weiße Rosen", so Edda Ahrberg, "niedergelegt und in einer Gedenkminute der Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft gedacht."
- Gedenken am ehemaligen NKWD-Keller in der Prenzlauer Allee, Berlin. Foto: Edda Ahrberg
Das Grußwort des Senators der Stadt Berlin für Kultur und Europa, Dr. Klaus Lederer (Die Linke), fiel ausführlich aus. Ihm lag viel daran, Verständnis für die Verfolgten von einem aus seiner Sicht pervertierten Kommunismus zu zeigen. So setzt er sich für die Kinder von Kommunisten ein, deren (Mütter und) Väter im GULag endeten. "Ich tue dies im vollen Bewusstsein", so Lederer, "dass für all dies die Partei die Verantwortung trägt, die die Vorgängerin der Partei ist, in der ich heute Mitglied bin." Tatsächlich geht es um ein Stück Verantwortung, um die Geschichte und ihre Folgen, um mutig der Wahrheit in die Augen zu sehen.
Lederer imponierte durch sein Bekenntnis, das Vergangene aufzuarbeiten und die demokratischen Werte zu bewahren. Daraus die richtigen Lehren zu ziehen, haben beispielsweise die Historikerin Dr. Wilfriede Otto (1933-1915) und der Historiker und Publizist Dr. Wladislaw Hedeler vorgemacht. Hedeler stellte in seinem Eröffnungsvortrag "100 Jahre Russische Revolution und ihre Folgen" die "Streitfragen und kontroversen Sichtweisen auf die Folgen der Revolution 1917" vor. Die Februarrevolution werde überwiegend als Vorspiel zur Oktoberrevolution angesehen. Im "leninistischen Geschichtsbild" würden die Ereignisse dagegen vom Februar "als bürgerlich–demokratische Revolution streng vom Oktober, der ‚Großen Sozialistischen Oktoberrevolution‘ abgesondert." Die Frage nach dem Scheitern der angestrebten Weltrevolution bliebe offen. Sei nun die russische Revolution von 1917 eine periphere Revolution oder eine Leitrevolution gewesen? Weder noch! Der rote Terror sei sowohl einer Methode zur Führung des Bürgerkrieges als auch zur Behauptung der Macht gewesen. Hedeler bezieht in seine Untersuchungen neben den historischen auch die literarischen Zeugnisse ein. "Bereits 1927", stellte Hedeler fest, "[habe] es in der UdSSR keinen demokratisch gewählten Bezirkssekretär der KPdSU [gegeben]". Partei- und Staatsämter seien immer mehr verschmolzen. Die Haftlager hätten sich von Isolations- und Umerziehungsanstalten zu Zwangsarbeitslagern für Arbeitssklaven auf den ‘Großbaustellen des Kommunismus‘ gewandelt. Damit sei für die Häftlinge eine "Besserung durch Arbeit" angestrebt worden. In der sogenannten Friedenswirtschaft nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sei die Zahl der Arbeitslager von 79 im Jahre 1948 auf 166 im Jahr 1953 angestiegen. Die Arbeitsproduktivität sei dagegen weit zu¬rückgeblieben. Die Lager im GULag haben sich nicht mehr reformieren lassen und seien schließlich aufgelöst worden. Das sei eine ökonomische und keine politische Entscheidung gewesen. Wie wir heute wissen, habe sich damit keine demokratische Entwicklung im ersten "Arbeiter- und Bauernstaat" vollzogen.
Die Ausstellung "Der Kommunismus in seinem Zeitalter", von dem Frankfurter Historiker Gerd Koenen, spiegelt Aufstieg und Niedergang der kommunistischen Bewegungen im 20. Jahrhundert wider. Anspruch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander. Der totalitäre Anspruch veränderte die Welt und wurde zum Albtraum für Millionen, den Opfern der kommunistischen Gewaltregime. Ulrich Mählert stellte die Ausstellung mit 25 Tafeln und über 200 zeithistorischen Fotos in eindrucksvollen Worten vor. Seit März 2017 steht die Schau als Poster-Set im DIN A1-Format für die Bildungsarbeit zur Verfügung und kann – zusammen mit didaktischem Begleitmaterial – bei der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur bestellt werden. "Sie ist das ideale Medium, um in Schulen", so Mählert, "zur Auseinandersetzung mit dem Kommunismus und seinen Diktaturen einzuladen." Herausgeber der Ausstellung sind die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und das Deutsche Historische Museum in Berlin.
Der letzte Vortrag "Dr. Joachim Anders. Erschossen bei Taischet" wurde am ersten Tage gehalten, weil der Autor Dr. André Gursky, am Folgetag einer dringenden Verpflichtung nachkommen musste. Das weithin unbekannte Schicksal des ehemaligen Regierungsrates der Bezirksregierung Merseburg, Dr. Joachim Anders (13. Juni 1914 – erschossen im Mai 1952), stand im Mittelpunkt des Vortrages. Seit der Festnahme von Joachim Anders durch den sowjetischen Geheimdienst MGB am 5. August 1947 erhielt die Ehefrau bis in die 1990er Jahre keine Nachricht über das Schicksal ihres Mannes. Seine Rehabilitierung erfolgte am 26. September 1991.Am Ende seines Vortrages verwies André Gursky auf die Verdienste der Lagergemeinschaft Workuta, auf deren Initiative die Einrichtung der Gedenkstätte "Roter Ochse" in Halle zurückzuführen sei. Ebenso sind der Lagergemeinschaft Workuta die jährlichen Vorträge des Moskauer Obersten der Justiz, Leonid Pawlowitsch Kopalin, zu verdanken. Das erste Halle-Forum, das ohne staatliche oder institutionelle Unterstützung auskam, fand bereits am 24. Februar 1994 statt. Inzwischen kann man auf 23 Jahrestagungen zurückblicken.
Die Filmvorführung "Terror und Tod – Das System Stalin" (MDR 2017) berührte auch die Lagergemeinschaft Workuta und vertiefte die inhaltliche Gestaltung der Tagung.
- Teilnehmer der Jahrestagung. Foto: Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Gerald Wiemers
...schließenEintrag vom 11.6.2017 VORTRAG DR. W. HEDELER
100 Jahre Russische Revolution und ihre Folgen
Vortrag Dr. Wladislaw Hedelers in Berlin am Freitag, den 9. Juni 2017 während des Jahrestreffens der Lagergemeinschaft Workuta/GULag Sowjetunion.
"Hier schließt sich der Kreis zur Oktoberrevolution", hob Karl Wilhelm Fricke im Nachwort zum Band "Schwarze Pyramiden, rote Sklaven" hervor. "Lenin und Stalin haben in ihren Schriften niemals Zweifel daran gelassen, wie die revolutionäre Gewalt einzusetzen sei."
Dokument als PDF-Datei über folgenden Link öffnen:
W. Hedeler, 100 Jahre Russische Revolution und ihre Folgen
Eintrag vom 20.5.2017 JAHRESTREFFEN DER LAGERGEMEINSCHAFT
Vor 100 Jahren: Eine Revolution, die die Welt verändert
Unter diesem Motto findet die Jahrestagung der Lagergemeinschaft Workuta/GULag Sowjetunion vom 8. bis 10. Juni 2017 in Berlin statt.
Die Tagung findet in den Räumlichkeiten der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur statt, Kronenstraße 5, 10117 Berlin. Die Tagungsteilnehmer übernachten im nh-Hotel Berlin-Mitte, Leipziger Straße 106-111, 10117 Berlin (Tel. 030-22380233).
PROGRAMM
Donnerstag, den 8. Juni 2017
bis 16:00 Uhr |
Anreise |
16:30 Uhr |
Begrüßung durch Horst Schüler, Sprecher der Lagergemeinschaft |
Gedenkminute für die Verstorbenen |
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Grußworte |
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Dr. Anna Kaminsky, Geschäftsführerin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur |
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Dieter Dombrowski, Vorsitzender der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherschaft (UOKG) |
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Jens Planer-Friedrich, Mitarbeiter des Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Berlin |
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17:00 Uhr |
SMT-Todesurteile in Mecklenburg-Vorpommern im Spiegel russischer Akten Ein Projektbericht von Anne Drescher, Landesbeauftragte für Mecklenburg-Vorpommern für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR |
Weitergabe von Geschichte, aktualisierte Website und Öffentlichkeitsarbeit der Lagergemeinschaft Stefan Krikowski |
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Im Gespräch. Die Kinder der Generation GULag Ein Projektbericht von Marit Cremer, Memorial Deutschland |
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18:00 Uhr |
Grußwort Dr. Klaus Lederer, Senator der Stadt Berlin für Kultur und Europa |
Programmvorstellung |
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19:30 Uhr |
Begegnungsabend mit Abendessen (Hotel) |
Freitag, den 9. Juni 2017
9:30 Uhr |
Vor 100 Jahren: Eine Revolution, die die Welt veränderte Dr. Wladislaw Hedeler Vortrag und Diskussion |
10:30 Uhr |
Pause |
10:45 Uhr |
Die Ausstellung Der Kommunismus in seinem Zeitalter Einführung Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur |
11:30 Uhr |
Mittagessen (Imbiss) |
13:30 Uhr |
Vorstellung neuer Internet-Angebote www.dissidenten.eu und das Portal www.Kommunismusgeschichte.de Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur |
14:30 Uhr |
Kaffeepause |
15:00 Uhr |
Kassenbericht Weiterarbeit der Lagergemeinschaft |
16:30 Uhr |
Terror und Tod - Das System Stalin Film (MDR 2017) |
19:30 Uhr |
Begegnungsabend mit Abendessen (Hotel) |
Samstag, den 10. Juni 2017
bis 9:30 Uhr |
Frühstück und Auschecken (Hotel) |
9:30 Uhr |
Abfahrt zum Gedenkort (Treffpunkt vor dem Hotel) Der ehemalige NKWD-Keller in der Prenzlauer Allee Besuch des Gedenkortes mit Kranzniederlegung (Busfahrt unter Einbeziehung eines noch stehenden Thälmann-Denkmals und des umgestalteten Platzes der Vereinten Nationen, an dem früher ein großes Lenin-Denkmal stand) Einführung und Begleitung Anna von Arnim-Rosenthal Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur |
11:30 Uhr |
Ankunft am Hotel Abreise |
Eintrag vom 1.5.2017 REDE VON WERNER SCHULZ
Rede von Werner Schulz zur Vernissage der Dauerausstellung "Aufrecht stehen" in der Leipziger Universität am 30.03.2015
Der Künstler Reinhard Minkewitz, dessen Gemälde "Aufrecht stehen - für Herbert Belter, Ernst Bloch, Werner Ihmels, Hans Mayer, Wolfgang Natonek, Georg-Siegfried Schmutzler" in der ersten Etage des Hörsaalgebäudes zu sehen ist, bekam von Schriftsteller Erich Loest den Auftrag für das Bild. Das Bild ist eine Dauerleihgabe der Stiftung Friedliche Revolution. Am 30. März 2015 hielt Werner Schulz die Rede zur Vernissage der Dauerausstellung "Aufrecht stehen" in der Leipziger Universität.
Anlässlich des 66. Todestages von Herbert Belter verweisen wir gerne auf die Rede von Werner Schulz, die nach wie vor hochaktuell ist und sich sich dem frühen Widerstand in der DDR widmet.
Herbert Belter wurde als junger Student der Leipziger Universität von einem Sowjetischen Militärtribunal am 20. Januar 1951 in Dresden zum Tode verurteilt und am 28. April 1951 im Moskauer Butyrka Gefängnis hingerichtet.
Sehr geehrte Frau Rektorin, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren,
ich hatte bis zuletzt die Hoffnung, dass Erich Loest diesen Tag noch erleben würde. Dass er die künstlerische Umsetzung seiner Idee: den frühen Widerstand in der auf Kommunismus getrimmten Leipziger Universität im Großformat sehen könnte. Ein Projekt in das er viel Herzblut, Kraft und Geld investiert hatte. Am Ende glaubte er nicht mehr an dessen Realisierung und schrieb: "Meine Feinde haben gesiegt!"
Und die hatte dieser großartige Schriftsteller und unbestechliche Chronist ausgerechnet in der Stadt in der er Ehrenbürger war. Einige konnten ihm offenbar nie verzeihen was sie ihm angetan hatten. Sie fühlten sich unangenehm berührt, wenn er ihnen beim Wort Erinnerungskultur den nicht immer zarten Hinweis gab, dass darin das Tätigkeitswort "erinnern" steckt und der ehrlichen Selbstbeteiligung bedarf. Und andere wollten und möchten das Nomen Kultur möglichst losgelöst vom Politischen betrachten.
So wie Alexander Mitscherlich nach dem Ende der NS-Diktatur "die Unfähigkeit zum Trauern" diagnostizierte, attackierte Erich Loest nach dem Ende der SED-Diktatur "die Unwilligkeit des sich Infragestellens".
Bereits mit der Gründung war die DDR eine Lüge mit drei Buchstaben. Keine Deutsche Demokratische Republik. Dafür fehlte sowohl die demokratische als auch nationale Legitimation. Genau betrachtet standen die drei Buchstaben für ein Demagogisches Diktatur Regime, dem sich etliche von Anbeginn und später viele widersetzt haben.
Und darum geht es im Bild "Aufrecht stehen".
Dass es jetzt, acht Jahre nach dem ersten Entwurf, hier als Wandbild hängt, widerlegt die Resignation und bestätigt vielmehr sein humorvolles Lebenscredo: "Erich währt am längsten" – diese phonetische Verbindung aus Ehrlichkeit und Durchhaltewillen. Er hatte wahrlich kein Talent zum Aufgeben.
Was in diesem Fall allerdings auch seiner Frau Linde Rotta zu verdanken ist, die sein Vermächtnis mit großer Anstrengung, Nervenaufreibung und finanziellem Einsatz zielstrebig zum Erfolg geführt hat. Ohne ihr unablässiges Engagement und ihre Unverdrossenheit wäre das Bild nie fertig geworden und hier und heute auf dieser Vernissage. Sie hat das Bild dankenswerterweise der Stiftung Friedliche Revolution übergeben, die es zunächst für 10 Jahre und später, wie ich hoffe, als Dauerleihgabe der Universität überlässt. Denn hier ist der Ort, an dem es wirkt.
Der Dank geht deshalb auch an Michael Kölsch und Hans-Jürgen Röder von der Stiftung Friedliche Revolution, welche die letzte Wegstrecke des Bildes bewerkstelligt haben.
Und der es gemalt hat, Reinhard Minkewitz, hat nicht nur große künstlerische Qualität und enormes Einfühlungsvermögen bewiesen und die Intension vortrefflich umgesetzt, sondern nie aufgegeben. Er hat über all die Jahre an einem Auftrag festgehalten, der oft an einem seidenen Faden hing. Doch je tiefer er in die Materie eindrang desto stärker und überzeugender wurde dieser Auftrag zum eigenen Anliegen. Die authentische Wirkung der Porträtierten ist ja nicht nur eine Frage der perfekten Maltechnik, sondern ob man das Wesen, die innere Haltung und Beweggründe der Personen erfasst. Und das ist hervorragend gelungen. Da keiner mehr Modell sitzen konnte war dazu ein akribisches Studium historischer Quellen, von Zeitzeugen und Nachlass erforderlich.
Die Idee zu diesem Bild hat zu einer heftigen Kontroverse geführt, die als "Leipziger Bilderstreit" in Erinnerung bleibt. Es gab schräge Argumente und heftige Widerstände das Bild in der Leipziger Universität aufzuhängen. Was mich zu der Aussage bewogen hat: "Armselig eine Universität die keinen Platz für ihre Helden findet."
Doch das wird hier und heute korrigiert. Deswegen möchte ich auch Ihnen Frau Prof. Schücking danken, dass Sie trotz mancher Hürden und namhafter Bedenkenträger zu Ihrem Wort gestanden haben. Ein Versprechen an Erich Loest, dass sich ein Weg für dieses Projekt finden wird. In einer Zeit, in der der Passus: "Es gilt das gesprochene Wort" oft nur eine Floskel ist und kein Garantieanspruch, ist auch dies ein Beispiel für Standhaftigkeit und Integrität.
Erinnerung braucht Namen und Gesichter. Nur so können wir die Opfer dem Vergessen entreißen und ins nationale Gedächtnis bringen.
Während das Geschichtsbild zur NS-Diktatur, die Verbrechen und Verantwortung nicht mehr bestritten werden, ist die Wirkungs- und Nachwirkungsgeschichte des Kommunismus längst nicht ausgestanden. Gerade erleben wir, wie der in der Sowjetunion verordnete Internationalismus in einen religiös verbrämten völkischen Nationalismus umschlägt.
Die Verbrechen und Verwüstungen, die im Namen des Kommunismus begangen wurden, zu vergessen, zu verdrängen oder zu verharmlosen, wäre der sicherste Weg für seine Reinkarnation. Darum ist seine Verdammung keine politische Leichenschändung. Im Gegenteil: es gibt eine Partei, die eine kommunistische Plattform unterhält und über neue Wege zum Kommunismus nachdenkt. Laut einer aktuellen Studie halten 60 Prozent der Ostdeutschen und 37 Prozent der Westdeutschen den Sozialismus/Kommunismus für eine gute Idee, die bisher nur schlecht gemacht wurde. Welch ein Mangel an politischer Bildung. Schließlich kann man auch Ideologien so wie Bäume an ihren Früchten erkennen.
Unsere Zukunft entscheidet sich von daher auch im Kampf um die Vergangenheit. Dabei geht es nicht darum das Leben in der DDR zu entwerten, sondern den Charakter des Systems zu verdeutlichen und diejenigen zu würdigen, die darunter gelitten und bürgerliche Standfestigkeit bewiesen haben.
Deswegen gilt es nicht nur "Gesicht gegen Neonazis" zu zeigen, sondern auch Gesichter gegen das Vergessen. Menschen, deren Schicksale oft noch unbekannt sind, die aber enormen Mut im Kampf um Freiheit und Demokratie bewiesen haben und denen unter der kommunistischen Diktatur großes Unrecht und Leid angetan wurde.
Opposition und Widerstand, Selbstbehauptung und Verweigerung hatten viele Gesichter und Akteure. Das Bild "Aufrecht stehen" zeigt sieben. Stellvertretend für andere. Denn es waren Menschen, die den Lauf der Geschichte bestimmten und nicht Strukturen oder Verhältnisse.
Sie verkörpern das Grundgesetz des Widerstandes: "Es gibt immer eine Wahl, und sei es die, sich denen nicht zu beugen, die sie uns nehmen wollen."
Der Aufbau der kommunistischen Diktatur im Osten Deutschlands rief von Anfang Opposition und Widerstand hervor. Wie wenig sich die SED-Machthaber auf die Zustimmung der Menschen berufen konnten, in deren Interesse sie vorgaben zu regieren, beweisen der Volksaufstand und der Mauerbau und die ungebrochene Fluchtbewegung. In allen Phasen ihrer Existenz gab es in der DDR mutige Frauen und Männer, die trotz persönlicher Risiken nicht bereit waren, sich dem alles beherrschenden Machtanspruch der SED zu unterwerfen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende der NS-Gewaltherrschaft wurde mit der politischen Neuordnung Ostdeutschlands das stalinistische Herrschaftssystem mit seinem totalitären Anspruch errichtet. Angeführt von der Gruppe Ulbricht und Kommunisten, welche die NS-Verfolgung und Parteisäuberungen im Moskauer Exil überlebt hatten. Tausende, die den neuen Machthabern dabei im Wege standen, wurden verfolgt und zu langen und schweren Strafen verurteilt.
Meist betraf es junge Leute. Ihnen wurde schnell klar, dass sich eine neue Diktatur anbahnte, die in alle Lebensbereiche einzudringen versuchte und der sie schon wieder gehorchen sollten. Doch eine solche Zukunft wollten sie nicht akzeptieren. Sie nahmen den proklamierten demokratischen Neuanfang ernst und entschlossen sich zu friedlichem Widerstand. Die drakonischen Strafen, die ihnen drohten, verraten hingegen viel über den menschenverachtenden Charakter des neuen Regimes. Allein für die 3 Informations- und Literaturbeschaffung, für das Kleben von Plakaten, für Flugblätter und kritische Reden wurde man bis zu 25 Jahre Arbeitslager verurteilt oder hingerichtet.
Die Namensliste der Leipziger Studenten, denen dieser Weg nicht erspart blieb ist lang und bis heute nicht vollständig.
Einer von ihnen war Herbert Belter. Seine mutige Tat und die seiner Kommilitonen ist mit dem vergleichbar was sieben Jahre zuvor die Geschwister Scholl taten. Doch während die Helden der Weißen Rose zurecht einen Platz in unserem nationalen Narrativ fanden, steht eine angemessene Würdigung der Gruppe Belter noch aus. Dabei haben sie mit Flugblättern gegen das Zettelfalten der ersten Volkskammerwahl schon 1950 beklagt, was wir bei der Überwachung der Kommunalwahlen im Mai 89 abermals feststellen mussten: eine fingierte Wahl ohne Alternative, die auf Manipulation und Betrug beruhte. Vielleicht inspiriert ja das Bild demnächst einen unserer Spielfilmregisseure einen Film über die Gruppe zu drehen und sie so in unser Geschichtsbewusstsein zu bringen und jungen Menschen zu erschließen. Zu wünschen wäre, dass es nicht so lang dauert, wie bei Georg Elsner, den gescheiterten Hitlerattentäter, dessen Widerstandsgeschichte erst jetzt in die Kinos kommt.
Vor Jahren war ich in Moskau und habe dort vor der Lubjanka - dem früheren KGB-Gebäude - an der inoffiziellen Veranstaltung "Woswraschtschenie Imen" – Rückgabe der Namen – der Menschenrechtsorganisation Memorial teilgenommen und die Kurzbiografien der Leipziger Studenten Herbert Belter, Gerhard Rybka, Axel Schroeder und Heinz Eisfeld verlesen, die dort 1951 erschossen wurden, weil sie sich der kommunistischen Diktatur in der DDR widersetzten. Es wäre gut, wenn auch wir eine angemessene Form des Gedenkens finden könnten.
So wie die SED-Diktatur auf zahlreiche Opportunisten und Mitläufer bauen konnte, hatte auch die friedliche Revolution etliche Vorläufer. Es gehört zu den Merkmalen einer unfreien, verängstigten und überwachten Gesellschaft, dass zwischen den Widerstandsakteuren aus der Anfangsphase der DDR und denen vom Herbst 89 keine Verbindung bestand. Wir erfuhren von ihnen oder lernten uns erst nach 1990 in der offenen demokratischen Gesellschaft kennen.
Insofern war es für mich erstaunlich, welche Kontinuität sich aus den Schicksalen im Kampf um Freiheit, Demokratie und Menschenrechte ergibt.
Zum Beispiel Werner Ihmels, der für den christlichen Widerstand steht und vorwegnahm was sich später als Friedens- und Umweltgruppen unter dem Dach der evangelischen Kirche versammelte. Der Bonhoeffers Erkenntnis folgte, dass es nicht ausreicht die unter die Räder gekommenen zu verbinden, sondern das man dem Rad in die Speichen 4 greifen muss. Er war überzeugt, dass dieses System nicht lange bestehen wird. Doch dauerte es länger als sein Leben.
Oder Wolfgang Natonek, der Vorsitzende des Studentenrates, der sich für Meinungsfreiheit und gegen Diskriminierung einsetzte und von Gedanken getragen war, die später den Aufbruch des Neuen Forums bewegten. Von ihm, dem Liberaldemokrat, könnte der im Herbst 89 aufgetauchte Satz stammen: "Ich stehe hinter jeder Regierung, bei der ich nicht sitzen muss, wenn ich nicht hinter ihr stehe."
Oder Georg-Siegfried Schmutzler, der Studentenpfarrer, der sich für Religionsfreiheit einsetze und sich gegen den faulen Kompromiss einer "Kirche im Sozialismus" aussprach und mit seiner offenen Kirchenarbeit der SED ein Dorn Auge war. Der genau das machte, was Christoph Wonneberger und Christian Führer mit Erfolg fortsetzten.
Da die ideologische Reinheit und absolute Wahrheit allein an der unbedingten Treue zur Parteilinie bemessen wurde, schnitt sich die SED selbst ihre besten und intelligentesten Köpfe ab. Wie den Philosophen Ernst Bloch und den Literaturwissenschaftler Hans Mayer.
Bloch, der aus Prinzip auf einen demokratischen Sozialismus hoffte, widersetzte sich der dogmatischen Auslegung des Marxismus und wurde deswegen, so wie später Robert Havemann, aus politischen Gründen emeritiert.
Ähnlich erging es Hans Mayer, einer Koryphäe der deutschen Literaturgeschichte. Sein legendärer Hörsaal 40 war schon Stunden vor der Vorlesung überfüllt. Auf seine bahnbrechende Arbeit geht der bedeutendste deutsche Literaturpreis, der Georg-Büchner-Preis zurück. Die angetragene Parteimitgliedschaft konterte er mit dem Argument, dass ihm dadurch zwar manches entgehen, aber wiederum auch vieles erspart bleiben würde. Seinen Mut und seine menschliche Größe mag man daran erkennen, dass er, der Nationalpreisträger, keine Gefahr scheute die Familie des inhaftierten Staatsfeindes Loest zu unterstützen. Eine Kampagne der Universitäts- und Parteileitung unter dem Motto "Eine Lehrmeinung zu viel" zwang ihn schließlich zur Aufgabe seiner Lehrtätigkeit.
Bloch und Mayer waren zwei deutsche Juden auf Widerruf. Vor den Nazis emigriert, mussten sie erneut das Land verlassen. Diesmal von Deutschland nach Deutschland. Mit der schmerzhaften Erfahrung seiner Teilung und der erneuten Konfiszierung ihres Vermögens. Wie Geschichtsvergessen muss man sein um zu behaupten: die Beiden würden nicht ins Bild passen?
Man weinte ihnen keine Träne nach und verstieg sich in wüsten Beschimpfungen. Oder wie Hermann Kant der Vorsitzende des Schriftstellerverbandes sagte: "Kommt Zeit, vergeht Unrat."
"Aufrecht stehen" ist keine Frage der Wirbelsäule, sondern des Rückgrats. Die Dargestellten widerlegen Immanuel Kants Behauptung, dass der Mensch ein krummes Holz sei, aus dem nichts Gerades werden könne.
Über die Evolution des Rückgrats schrieb Erich Loest 1954 eine satirische Passage im Roman "Das Jahr der Prüfung". Im Biologieunterricht wurde der Lanzettfisch behandelt. Darüber schrieben die ABF-Studenten eine Klausur. Ein eifriger Prüfling bemühte sich das Thema aus der Sicht des dialektischen Materialismus zu erörtern und schrieb: "Hier also tritt das Rückgrat zum ersten Mal auf. Es entwickelt sich weiter und weiter, und seine höchste Vollkommenheit erreicht es beim Menschen. Was wäre der Mensch ohne Rückgrat. Nur durch das Rückgrat kann er aufrecht gehen, womit er sich über die Tiere erhebt und das Rückgrat wird zum Garant für seine großen Leistungen. Die größten Leistungen aber, die die Menschheit vollbringt, werden in der großen Sowjetunion geleistet, in der die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen abgeschafft ist. Die Großbauten des Kommunismus, die Befreiung der Kultur und Wissenschaft aus der Herrschaft des Kapitals und die Hilfe für das deutsche Volk in ihrer vielfältigen Gestalt usw. usw.
Ein Jahr nach dem niedergeschlagenen Volksaufstand konnte Erich Loest die Demütigung offenbar nur mit Ironie ertragen. Wie so oft war es seine Sicherheitsnadel, damit ihm nicht der Kragen platzte.
"Aufrecht stehen" ist ein Bild, das im wahrsten Sinne Vorbilder zeigt. Sie sind der Gegenbeweis zur Selbstabsolution vieler Mitläufer: man hätte ja doch nichts machen können. Gerade in einem zunehmend digitalen Zeitalter, einer Twitter-Facebook-Selfie-Spaßgesellschaft, gilt es anschaulich zu vermitteln, dass sich eine wehrhafte Demokratie und Zivilcourage nicht einfach herunterladen lassen.
Das Wandbild und die darauf gezeigten Persönlichkeiten sind eine stumme Mahnung: Die opferreich und langwierig errungene Freiheit und Demokratie nicht leichtfertig zu verspielen. Wie schrill würde wohl der populistische Abgesang auf die parlamentarische Demokratie und freie Presse, den wir dieser Tage lauthals von PEGIDA und LEGIDA hören, in ihren Ohren klingen? Wie empörend würden wohl die jüngsten Sachbeschädigungen und Gewaltakte aus der linksextremen Szene in Leipzig und Dresden auf sie wirken?
Nein – ihr Eintreten für eine freie, solidarische und humane Gesellschaft darf nicht umsonst gewesen sein.
Mut ist ein kurzes Wort und schnell ausgesprochen. Aber es gehört mehr dazu ihn in unseren postheroischen Zeiten zu beweisen.
Sind wir wirklich bereit für unsere Freiheit und pluralistische Gesellschaft, so wie die Aufrechten im Bild, den Kopf hinzuhalten? Ja es gibt noch solche Menschen. Wie Boris Nemzow, der sich der Putinschen Autokratie und Kreml Propaganda widersetzt hat und in der Wahrheit leben wollte. Oder Stephane Charbonnier, der Chefredakteur von Charlie Hebdo, der nach einem Brandanschlag auf die Redaktion und Morddrohungen sich nicht einschüchtern ließ und mit den Worten die Presse- und Meinungsfreiheit verteidigte: "Ich ziehe es vor, lieber aufrecht zu sterben als auf Knien zu leben."
Was heißt in diesem Kontext: "Je suis Charlie"? – Wir können uns nur wünschen, nicht so schnell auf die Probe gestellt zu werden.
"Aufrecht stehen" zeigt gebrochene Biographien und mit den Platten und der Silhouette des Augusteums und der Pauliner Kirche auch die Brüche in der Stadt. Leider ist das Transparent "Wir fordern Wiederaufbau" - das fünf junge Physiker 1968 in der Leipziger Kongresshalle wie vom Deus ex Machina entrollten – ist dieses Transparent nur ins Stasi Archiv und nicht in die Herzen der Stadt gelangt. So hat die Moderne von Ulbrichts Verdikt profitiert, der befahl: "Wenn ich aus der Oper komme, will ich keine Kirche sehen. Das Ding muss weg."
Doch wie im Bild angedeutet: Als sich der Staub über ihrem Trümmern verzog, wurde wie ein Vorzeichen des Kommenden der Turm von St. Nikolai sichtbar.
Ein Bild ist in der Lage eindrucksvoll Geschichte zu reflektieren oder sie zu kaschieren, schön zu färben und zu verbiegen. Das wird man künftig an der Leipziger Universität an Hand von zwei Bildern diskutieren können.
Genau das wollte Erich Loest, denn er war kein Bilderstürmer, sondern ein Bilderstifter. Sein "Aufrecht stehen" soll das Bild "Arbeiterklasse und Intelligenz" nicht ersetzen, sondern es zeigt die Opfer der Diktatur des Proletariats. Es ist das Kontrastbild der totalitären Unterdrückung und ihrer Glorifizierung. Erst in der Gegenüberstellung lässt sich das getürkte oder besser gesagt getübke Trugbild einer sozialistischen Menschengemeinschaft von der Wirklichkeit unterscheiden.
Hier geht es nicht um ästhetische Fragen, um die Kunstfertigkeit, die zweifellos zu erkennen ist, sondern um die Botschaft, um die Funktion des Bildes. Heute mag es reizvoll sein für späte Apologeten scheinbare Andeutungen zu interpretieren. Gerade deshalb gilt Joseph Brodskys Diktum: "Ästhetik ist Ethik" – je freier das Denken, desto stringenter auch die Form.
Ein Wandbild zu malen, das an der Stelle angebracht werden sollte, wo die Uni-Kirche stand – dem Maler, der so von der Vergangenheit zehrt, hätte sich doch der Pinsel krümmen müssen, schreibt Bernd-Lutz Lange.
Aber vielleicht brauchte man ein solches Spezialgerät um ein Bild zu schaffen, dass als Religionsersatz und Verheißung der hehren programmatischen Ziele der Zerstörer dienen sollte. Mit all den zukunftsgläubigen Anspielungen, dass Bauarbeiter das zerschlagene Kreuz entsorgen. Viele empfanden es einfach nur als Hohn. Heute reiht sich die Sprengung der Kirche in den Kulturvandalismus der Taliban und des IS ein.
Für die Auftraggeber der SED-Bezirksleitung war "Arbeiterklasse und Intelligenz" kein Vexierbild, sondern genau das was sie uns vormachen und zeigen wollten: die heile Welt der Diktatur.
Ich habe mich schon vor Jahren gefragt, was man wohl gekifft oder in welcher von der DDR abgeschirmten Welt gelebt haben muss, um darin die Wiedergeburt einer Renaissancekommune in einer sozialistischen Stadt zu sehen.
Im Bild "Arbeiterklasse und Intelligenz" sind vor allem diejenigen zu sehen, die daran mitgewirkt oder kein Problem damit hatten, dass der Widerstand liquidiert, der Widerspruch verfolgt und der freie Geist der Universität vertrieben wurde.
Aus Sicht der Partei: Eine Straße der Besten. Vom rabiaten Altrektor, der die bürgerlichen Reste entfernte und die Uni zur roten Kaderschmiede machte, den linientreuen Professoren und Dekanen bis zum Schöpfer des Bildes selbst. Denn es geht nicht nur um Paul Fröhlich, Ulbrichts Liebling und Sprengmeister der Pauliner Kirche, der noch bevor die Rote Armee eingriff und am 17. Juni 53 den Schießbefehl erteilte und viele angebliche Klassenfeinde hinter Gitter brachte.
Wie viele Studenten haben wohl vor diesem Bild gestanden und den schnellen Übergang von der Intelligenz zur Arbeiterklasse erlebt, wenn sie aus ideologischen Gründen oder fehlendem Klassenstandpunkt vorzeitig exmatrikuliert oder zur "Bewährung in die sozialistische Produktion" verbannt wurden?
Es gibt einen berühmten Maler, der – auch das eine Form der Drangsalierung - wegen "gesellschaftlicher Unreife" von der Ostberliner Hochschule für Bildende Künste flog, ein Maler der seine Bildmotive bewusst auf den Kopf stellt. So wie die bürgerlichen Werte in der Diktatur Kopfstehen. Doch leider gibt es auch Kunsthistoriker die eindeutige Bildaussagen entgegen allen Tatsachen auf den Kopf stellen. Ich hoffe Herr Prof. Zöllner Sie gehören nicht dazu.
Und nur nebenbei, Herr Prof. Zöllner, der Satz, den Sie vorhin auf der Pressekonferenz gesagt haben, dass man die Führende Rolle der Partei im Bild nicht erkennen könne, hätte Ihnen vor 40 Jahren den Lehrstuhl gekostet. Um Sie mal ins Bild zu setzen, welche Atmosphäre an der Karl- Marx-Uni herrschte.
Misstrauisch hat mich allerdings der Satz in der Einladung zur heutigen Vernissage gestimmt, der lautet: "Die Interpretation des Wandbildes "Arbeiterklasse und Intelligenz" oszilliert zwischen einer Betonung der ideologischen Vorgaben einerseits und der Hervorhebung der von Tübke intendierten Vision einer freiheitlichen Gesellschaft andererseits."
Da ist sie wieder die sozialistische Lebenslüge, die Erich Loest so empört hat. So wie um den Begriff des Unrechtsstaats eine verschwiemelte Abwehr und Rechtfertigung betrieben wird, drückt man sich hier um die klare Feststellung: das Bild "Arbeiterklasse und Intelligenz" war, ist und bleibt ein monströses Propagandawerk.
So wie der Parteiauftrag lautete: "Arbeiterklasse und Intelligenz sind im Sozialismus unter Führung der marxistisch-leninistischen Partei untrennbar verbunden." Zum Glück hat dieses Amalgam nur im Bild gehalten und sollte nicht die eingangs erwähnte Verklärung rechtfertigen.
Dabei will ich mich nicht in die endlose Kontroverse einmischen, ob der Schöpfer ein altmeisterliches Genie oder manieristischer Epigone war. Es mag verführerisch sein, wenn man im Westen sozialisiert wurde, von der Diktaturgeschichte verschont blieb und vor Ort die italienische Renaissancemalerei studieren konnte in Tübke einen Wiedergänger zu entdecken. Zumal er sich selbst als die Wiedergeburt eines Malermönchs aus der Toskana zur Zeit der Frührenaissance empfand.
Es war aber die Zeit als man in der DDR gegen westliche Musik und lange Haare vorging. Oder, um es im populären Poetry Slam zu sagen:
Es geht doch um den Inhalt
vielmehr als um die Form
es geht doch um den Anspruch
und nicht um die Norm
Es geht doch um das Was
Und weniger um´s Wie
Hier geht es doch um Mitläufer und Täter
Und nicht um´s Genie.
Von wegen freiheitliche Gesellschaft. Selbst im komfortablen MTS-Rahmen – und das war nicht die Maschinen und Traktoren Stadion, sondern das Maler Dreigestirn Mattheuer, Tübke und Sitte - war die Freiheit der Kunst schwer zu entdecken. Denn Kunst war Waffe und Machtmittel im real existierenden Sozialismus. Und wer sich nicht dran hielt wurde verdammt.
Im Panoptikum des kulturellen Klassenkampfes befindet sich deshalb auch die Abwehr des Kosmopolitismus, Formalismus, Primitivismus, der Dekadenz und jeder Form der bürgerlichen Unkultur.
Dennoch gab es couragierte Künstler, die das Risiko der staatsfeindlichen Gruppenbildung nicht scheuten und sich Freiräume erkämpften. Wie die Dresdner-Künstlergruppe "Lücke" oder "Clara Mosch" in Karl-Marx-Stadt oder die Sechs vom 1. Leipziger Herbstsalon.
Dieser 1. Leipziger Herbstsalon wurde als "Konterrevolution" bewertet. Von einem der führenden Kunsthistoriker der DDR und Professor für Kunstkritik und Kunsttheorie an der Leipziger Karl-Marx-Universität. Prof. Karl-Max Kober hat Elogen auf Heisig und Tübke geschrieben und war im Nebenfach als IM Dr. Werner für die Stasi tätig.
Bei der Beschäftigung mit den beiden Bildern ist mir aufgefallen, das noch viele Geschichten über die Staatskünstler und die unangepassten Künstler der DDR aufgeschrieben werden müssen und das die Kunstgeschichte der DDR 25 Jahre nach ihrem Ende noch viel weiße Flecken aufweist.
Leider gibt es in unserem Land noch immer keinen Lehrstuhl für die Geschichte der DDR und die Geschichte des Kommunismus in Europa. Gerade für die Leipziger Universität, die mal den verpflichtenden Namen Karl Marx trug, der das Gespenst des Kommunismus in die Welt gesetzt hat, müsste dieses Defizit eine Herausforderung sein.
Zwar unterhält die Fakultät für Geschichte neben all den Instituten zu Afrikanistik, Ethnologie, Indologie, Kunst- und Orientwissenschaften auch ein Historisches Seminar, doch unter "Aktuelle Information" erfährt man dort, dass der Lehrstuhl für Neuere und Neuste Geschichte zum 1. April - und das scheint kein Scherz zu sein – aufgelöst wird.
Deswegen meine Bitte an Sie Magnifizenz und an die Bildungsminister von Bund und Land: Gerade im Zusammenhang mit den beiden Bildern und einem vertieften Diskurs, wäre es an der Zeit und angebracht ein Institut für die Geschichte und Kunstgeschichte der DDR zu gründen.
Die Geschichte hat den gläubigen Anhängern der kommunistischen Ideologie viel zugemutet. Denn die DDR ist so gründlich gescheitert, wie man nur scheitern kann: ökonomisch, politisch und moralisch. Doch vor allem, und darum ging es heute und hier, ist sie an ihrem Menschenbild gescheitert.
Leipzig, den 30. März 2015
Werner Schulz
...schließenEintrag vom 17.4.2017 EINLADUNG
Die Konrad-Adenauer-Stiftung lädt zu den 9. Belter-Dialogen am Donnerstag, den 27. April 2017 ein.
Veranstaltungsort: Universität Leipzig, Alter Senatssaal, Rektoratsgebäude, Ritterstraße 26, 04109 Leipzig.
Der Besuch der Veranstaltung ist kostenfrei. Es wird um schriftliche Anmeldung bis zum 20.4.2017 gebeten. Sie erhalten keine separate Anmeldebestätigung.
Die Belter-Dialoge finden einmal jährlich an der Leipziger Universität statt, um Aspekte des Terrors an ostdeutschen Bildungseinrichtungen sichtbar zu machen. Herbert Belter wurde 1951 zum Tode verurteilt und in Moskau erschossen. Sein Name steht symbolisch für Widerstand und Zivilcourage in der ehemaligen DDR. Die Belter-Dialoge sollen Mahnung sein, sich für die Demokratie zu engagieren, damit sich in unserem Land Diktaturen nicht wiederholen. In diesem Jahr finden die Belter-Dialoge einen Tag vor dem 66. Jahrestag seiner Hinrichtung statt.
27. April 2017, Universität Leipzig, Alter Senatssaal
Programm
9:30 Uhr | Einführung und Grußwort |
Dr. Joachim Klose, Landesbeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung für den Freistaat Sachsen. Prof. Dr. Werner Gumpel, Mitglied der Beltergruppe. |
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9:45-10:45 Uhr | Vortrag |
Die Erziehung zum sozialistischen Menschen und seine Krankheitsbilder Prof. Dr. Florian Steger, Universität Ulm |
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10:45-11:00 Uhr |
Kaffeepause |
11:00-12:30 Uhr | Vortrag |
Der sozialistische Mensch - Was bedeutet das? Prof. Dr. Dagmar Schipanski, Landtagspräsidentin a.D. |
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12:30-14:00 Uhr |
Mittagspause |
14:00-16:00 Uhr | Diskussion |
Der sozialistische Mensch - ein Kunstprodukt? Julia Schoch, Autorin Dr. Andreas Kötzing, Hannah-Arendt-Institut, TU Dresden Stephan Bickhardt, ev. Pfarrer und Polizeiseelsorger Moderation: Dr. Joachim Klose |
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18:30 Uhr |
Festveranstaltung |
Das Ich als Mensch im Sozialismus Lutz Rathenow, Sächsischer Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen Schlusswort Rektorin Prof. Dr. Beate Schücking, Universität Leipzig Musikalische Umrahmung: Konstanze Hollitzer Empfang |
Das Menschenbild eines Staates steht in enger Verbindung mit seinen politischen Grundwerten und Idealen. Welche Vorstellung vom Menschen hatte das marxistisch-leninistische Weltbild? Der Idealtyp zeichnete sich unter anderem durch stete Disziplin und eine feste moralische Bindung an sozialistische Maßstäbe aus. Als Richtschnur für korrektes Verhalten verkündete Walter Ulbricht 1958 erstmals die "Zehn Gebote der sozialistischen Moral". Entsprechend wurden die SED-Parteimitglieder ab 1976 darauf hingewiesen, dass jedes Parteimitglied die Pflicht habe "die Normen der sozialistischen Interessen über die persönlichen zu stellen". Individualität trat - nicht nur innerhalb der Partei - zugunsten der Gemeinschaft zurück.
Das von der SED propagierte Menschenbild wurde in den 1950er Jahren mit dem Begriff "neuer Mensch" bezeichnet. Es hatte zum Ziel, die Menschen nach sozialistischem Vorbild zu erziehen und die Macht der SED zu sichern. Voraussetzung hierfür war die seit den 1960er Jahren propagierte "sozialistische Persönlichkeit" der DDR-Bürger. Begriffe, die klingen als handle es sich bei dem Menschen im Sozialismus um ein Kunstprodukt - aber mit fatalen Konsequenzen: So wurden an der TU Dresden noch 1987 Studenten exmatrikuliert, weil sie die Anforderungen an einen "sozialistischen Leiter" nicht erfüllten.
Obwohl die Grundüberzeugungen der DDR alle Gesellschaftsbereiche durchdrangen, war der Anteil gänzlich konformer Sozialisten gering. Wünsche nach Privatsphäre, Freiheit von der Staatskontrolle und Fremdbestimmung blieben bestehen. Trafen sich an dieser Stelle zwei Menschenbilder, deren Verschiedenheit nicht zuletzt auch zum Ende der DDR beitrug?
Wie erfolgte die Erziehung zum sozialistischen Menschen? War sie erfolgreich? Wie war das Verhältnis der Gesellschaft zum Individuum? Im Rahmen der diesjährigen "Belter-Dialoge" wollen wir diese und weitere Fragen diskutieren.
Mit herzlicher EinladungDr. Joachim Klose
Landesbeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. für den Freistaat Sachsen
E-Mail: kas-sachsen@kas.de
http://www.kas.de/sachsen/
Über Herbert Belter
Geboren am 21. Dezember 1929 in Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern), wohnte Herbert Belter zuletzt in Leipzig (Sachsen), wo er ab 1949 an der Gesellschafswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Leipzig studierte. Seit Mai 1950 hatte Belter gemeinsam mit einem Kommilitonen Kontakt zum RIAS. Von dort bezogen sie regelmäßig Broschüren und Flugblätter. Elf Tage vor der Wahl zur Volkskammer verteilte eine Studentengruppe um Belter nachts am 4. Oktober 1950 in der Leipziger Innenstadt Flugblätter gegen das SED-Regime. Bei einer Straßenkontrolle wurde sie verhaftet und am 9. Oktober 1950 an die russischen Besatzungsorgane übergeben. Das Sowjetische Militärtribunal Nr. 48420 verurteilte Belter am 20. Januar 1951 in Dresden wegen Spionage, Aufbau einer konterrevolutionären Gruppe und Verbreitung antisowjetischer Literatur zum Tode durch Erschießen. Herbert Belter wurde am 28. April 1951 in Moskau hingerichtet.
Eintrag vom 20.2.2017 GERDA JANSON IST TOT
Gerda Janson verstarb am 11. Februar im Alter von 89 Jahren in Köln.
Ein Nachruf von Prof. Dr. h.c. Werner Sperling
Abschied
Das Leben ist begrenzt, aber die Erinnerungen sind grenzenlos.
- Gerda Janson, Workutaner-Treffen in Karlsruhe, 2014
Vor ihrem 90. Geburtstag ist am 11. Februar 2017 Gerda Janson, geb. Zimmert, geboren in Berlin, in ihrer Wahlheimat Köln nach schwerer Krankheit verstorben.
1949 wurde sie vom sowjetischen Geheimdienst NKWD wegen ihres Freiheitsdrangs und als Verfechterin von Demokratie verhaftet, gefoltert und zu 25 Jahre Arbeitslager verurteilt. Bemerkenswert waren ihre Aktivitäten. Ihren Vater, der im Lager des KGB in Deutschland war, hat sie aufgespürt und den Kontakt zu ihm hergestellt. Als sie dann selbst im GULag Workuta war, hat sie Kontakte nach Taischet geknüpft und ihren Verlobten gefunden. Im Lager Workuta war sie eine Kameradin, die sich für andere Mithäftlinge eingesetzt hat. Sechs Jahre musste sie in den Straflagern der Sowjet-Union Sklavenarbeit leisten, bevor sie in die Heimat zurückkehren durfte. Ihr Sohn Peter, der bei der Großmutter aufgewachsen war, erkannte nach der langen Zeit seine Mutter nicht wieder.
1956 heiratete sie Gerhard Janson, aus der Ehe gingen zwei Söhne und eine Tochter hervor.
1995 wurde sie durch die Militärstaatsanwaltschaft Moskau rehabilitiert.
Sie war eine starke Frau. Wir trauern um einen Heimgang nach einem arbeitsreichen Leben, das am Ende ein hartnäckiger Kampf gegen die Krankheit war. Wir werden sie immer in guter Erinnerung behalten.
...schließenEintrag vom 15.2.2017 DIETRICH HARTWIG IST TOT
Dietrich Hartwig verstarb am 1. Februar 2017 im Alter von 85 Jahren in Karlsruhe.
Ein Nachruf von Prof. Dr. Gerald Wiemers
Der Geburtsort von Dietrich Hartwig - Rammenau in Sachsen - ist auch der Geburtsort des Philosophen Johann Gottlieb Fichte (1762-1814). Schon als Schüler diskutierte Dietrich Hartwig (geb. 15. November 1931) mit Gleichgesinnten über die neu aufziehende Gewaltherrschaft in der SBZ/DDR. Da die angestrebten und erhofften demokratischen Reformen ausblieben, entschlossen sich die überwiegend jungen Leute, etwas zu tun. Sie wollten aufklären, warnen und verändern und entschieden sich deshalb für eine Zusammenarbeit mit der "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" (KgU) in West-Berlin.
Nach dem Abitur 1950 in Bischofswerda studierte Dietrich Hartwig Physik an der Universität Leipzig. Die Verbindung zu den Freunden in Rammenau blieb erhalten und in Leipzig kamen neue hinzu. Mehrere Male ist Hartwig nach Berlin gefahren, um Material und Flugblätter von der KgU zu holen, die anschließend streng konspirativ verteilt wurden.
Als er sich am 4. September 1951 zum Weiterstudium an der Technischen Hochschule Dresden einschreiben wollte, wurde er von Angehörigen des Staatssicherheitsdienstes der DDR verhaftet und in das Gefängnis in der Königsbrücker Straße gebracht. Es folgten tagelange Verhöre, am 13. September 1951 brachten ihn die "Freunde", also die Russen, ins Kellergefängnis in der Bautzener Straße, wo er wiederum tage- und nächtelang bis zum 11. Dezember 1951 verhört und anschließend erneut in Stasihaft verbracht wurde. Am 28./29. Januar 1952 fand dann der "Prozess" vor einem sowjetrussischen Militärtribunal statt. Der "Anführer" der Gruppe aus Rammenau wurde zum Tod durch Erschießen verurteilt. Das Urteil gegen Hartwig und vier weitere Mitstreiter lautete auf jeweils 25 Jahre Arbeitslager, zwei weitere Freunde wurden zu je 15 Jahren Lagerhaft verurteilt.
Der Leidensweg von Dietrich Hartwig führte über Berlin-Lichtenberg per Güterzug nach Moskau und weiter nach dem entlegenen Workuta. Dort kam er am 16. Mai 1952 an. Bald darauf wurde er dem Lager 10, Schacht 29, zugeteilt. Unter schwierigsten Bedingungen arbeitete er im Kohlebergwerk bis zum 16. März 1955. Am 1. August 1953 erlebt er den Aufstand für bessere Lebensbedingungen, der mit über 60 Toten und über 120 Verletzten brutal zusammengeschossen wurde.
Durch die harten Verhandlungen von Bundeskanzler Konrad Adenauer 1955 in Moskau kam auch Dietrich Hartwig frei. Nach seiner Entlassung am 14. Dezember 1955 ging er sofort in den Westen, nahm 1956 in Karlsruhe wieder sein Physikstudium auf, schloss dieses 1962 mit Diplom ab und promovierte 1971.
Bereits 1956 hatte er geheiratet, aus der Ehe sind eine Tochter und ein Sohn hervorgegangen.
Seine Rehabilitierung durch die Militärhauptstaatsanwaltschaft in Moskau erfolgte 1995. Bereits 1993 und erneut 1995 hatte er mit ehemaligen politischen Häftlingen Workuta besucht. Er war mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse ausgezeichnet worden.
Nach langer schwerer Krankheit ist Dr. Dietrich Hartwig am 1. Februar 2017 in Karlsruhe gestorben. Er gehörte zum frühen Widerstand in der SBZ/DDR und war somit ein Vorkämpfer für ein freiheitlich demokratisches Deutschland.
...schließenEintrag vom 28.1.2017 NEUE BIOGRAFIE
Die Biografie von Lothar Wolleh wurde am 28. Januar 2017 auf www.workuta.de veröffentlicht.
Eintrag vom 12.1.2017 NEUES ZEITZEUGENPORTAL
Auf einem neuen Internetportal erzählen Zeitzeugen von ihren Schicksalen in der SBZ und in der DDR.
Barbara Kirchner, geboren 1946, erzählt: "Als ich 16 Jahre alt war, in Hamburg, wurde im Geschichtsunterricht über die KZ's gesprochen und da habe ich gesagt: ich bin in Sachsenhausen geboren. Der Lehrer war sehr verwirrt. Am nächsten Tag kam ein Junge und sagte: "Mein Vater sagt, entweder du lügst oder dein Vater war ein ganz schlimmer Nazi." Es konnte sich keiner vorstellen, dass auch unschuldige Menschen dort waren."
Unter dem Titel "Erfahrungen über politisches Unrecht und Widerstand von 1945 bis 1989" eröffnete die Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur (LakD) Ulrike Poppe gemeinsam mit Parlamentspräsidentin Britta Stark (SPD) am Mittwoch im Landtag Brandenburg das Zeitzeugenportal. Neben den Video-Interviews finden sich hier persönliche Dokumente, Fotoaufnahmen und weiter Unterlagen, die dem Nutzer die Einzelschicksale näherbringen. "Wir wollten vermitteln, was Diktatur war, was ein Leben in Diktatur bedeutet hat", sagte Poppe.
Brandenburgisches Zeitzeugenportal
http://www.zeitzeugen.brandenburg.de/
Die Berliner Morgenpost berichtete in ihrer Ausgabe vom 12. Januar 2017 über dieses Onlineportal unter der Überschrift „Gestohlene Kindheit“.
https://www.morgenpost.de/brandenburg/article209247329/DDR-Zeitzeugen-erzaehlen-von-ihrer-gestohlenen-Kindheit.html